OOH-Magazin Ausgabe 4 - 2022

OOH! Ausgabe 4 2022 AUSSENWERBUNG TRIFFT. DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH, SCHWEIZ. Trends & Innovationen Der Wert der Werbung: Ein Round Table-Gespräch der Spitzenverbände

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Mobilität der Zukunft Futuristisch anmutende Fahrzeuge erobern den öffentlichen Raum Hyperloop, Robocab und Volocopter sind einige der Namen, die mit der Entwicklung völlig neuer, nachhaltiger Formen von Mobilität in Verbindung stehen. Sie sollen den drohenden Verkehrskollaps der Städte abwenden und das Erreichen wichtiger Klimaziele unterstützen. Unseren Artikel dazu finden Sie auf Seite 30 Wert der Werbung Die Spitzenverbände der Kommunikation diskutieren am Round Table Konsumkritik und Kritik amWirtschaftssystem in seiner aktuellen Form äußern sich in einer nachlassenden Akzeptanz von Werbung, auf politischer Seite wie auch in der Bevölkerung. Die Branche muss gegensteuern und ihren gesamtgesellschaftlichen Wert wieder deutlich machen, fordern OWM, GWA und OMG. Unseren Artikel dazu finden Sie auf Seite 14 OOH und DOOH Klassische Aussenwerbung und digitale Screens agieren im Verbund Branding und Performance, das Medium OOH kann beides. Dabei steht die klassische Aussenwerbung vor allem für einen schnellen Reichweitenaufbau, DOOH sorgt für Sichtbarkeit an relevanten Touchpoints der Zielgruppe – gerne auch mit spektakulären Effekten wie einer „Forced Perspective“. Unseren Artikel dazu finden Sie auf Seite 24 DeLonghi In Wien wird der „Tag des Kaffees“ zu einem interaktiven OOH-Erlebnis Eine Wartehalle im Total Branding mit einem digitalen Screen und einem Dispenser im City Light hat am Universitätsring zur Bildung langer Schlangen geführt – wie ein Lauffeuer verbreitete sich über Nacht die Nachricht, dass dort Espressotassen-Sets mit personalisiertem Packaging zu bekommen waren. OOH macht’s möglich! Unseren Artikel dazu finden Sie auf Seite 34 3 OOH!–Bewegt & Co.

Der öffentliche Raum von heute: Im Zusammenspiel von klassischen Flächen und digitalen Screens kann Aussenwerbung für Marken den „Brand Gap“ schließen. Denn OOH beherrscht beides, Branding und Performance. Zwei aktuelle Kampagnen für DeLonghi und Revo Foods setzen neue Maßstäbe in der österreichischen Out of Home-Welt, mit außergewöhnlichen Inszenierungen für maximale Awareness und Interaktion mit der Zielgruppe.. Die Philosophie des fairen Preises: Preise sind einer der zentralen Faktoren in der Aussenwerbebranche. Das OOH! Magazin hat den zwei größten Mitgliedern des Verbands Aussenwerbung Schweiz (AWS) identische Fragen zu ihrem Pricing gestellt. 24 OOH!–Trends & Innovationen Deutschland 34 OOH!–Trends & Innovationen Österreich 38 OOH!–Trends & Innovationen Schweiz Wer Werbeverbote fordert, hält die Bevölkerung für leichtgläubig und beeinflussbar, sagt OOH!-Gastautorin Claudia Wirz. Die Schweizer Journalistin kritisiert die antiaufklärerischen Denkmuster scharf: „Werbeverbote sind ein Fanal für die Entwicklung der Demokratie.“ 22 OOH!–Aspekte BMWK macht Deutschland winterfest Vertical Garden schafft grünen Rahmen für Marken Salzburg wählt verspielten Weg zur Booster-Impfung Gothaer thematisiert Zukunftsgestaltung Der Konsument eine Katze, die Werbung ein ungebetener Gast: Am exklusiven OOH! Round Table diskutieren die Vertreter von Spitzenverbänden der Kommunikationsbranche über die mangelnde Akzeptanz von Werbung in Politik und Gesellschaft. 5 OOH!– In Kürze 14 OOH!–Fokus Impressum Verlag Out-of-Home Research & Services GmbH Franklinstraße 62 60486 Frankfurt am Main Tel.: +49 69 719167-0 Fax: +49 69 719167-60 Geschäftsführung Prof. Dr. Kai-Marcus Thäsler V.i.S.d.P. Prof. Dr. Kai-Marcus Thäsler Chefredaktion Karin Winter Tel.: +49 69 719167-40 winter@faw-ev.de Redaktion Anja v. Fraunberg Elke Löw Nadja Mühlemann Philip Haubner Helmut van Rinsum Vertrieb Jahresabonnement: Euro 39,60 inkl. Versandkosten und MwSt (nur innerhalb Deutschlands). Karin Winter Tel.: +49 69 719167-40 winter@faw-ev.de Anzeigen Anzeigenpreise und Formate sind beim Verlag zu erfragen Grafik/Layout schoepfung GmbH, Düsseldorf www.schoepfung.de Alle Beiträge sind urheberrechtlich geschützt; die Rechte liegen beim Verlag. OOH! erscheint in Kooperation von Fachverband Aussenwerbung, Gewista und AWS Aussenwerbung Schweiz. Um Ihnen den Lesefluss zu erleichtern, beschränken wir uns im Textverlauf auf das generische Maskulinum. Wir betonen ausdrücklich, dass uns alle Menschen – unabhängig von Geschlecht, Nationalität, ethnischer und sozialer Herkunft, Religion/Weltanschauung, Behinderung, Alter sowie sexueller Orientierung – gleichermaßen wichtig sind. 4 OOH!– Inhalt

Die neue Markenkampagne des politischen Magazins „Der Spiegel“ unterstreicht die Relevanz von unabhängigem und kritischem Journalismus. Die Motive werden seit Anfang November deutschlandweit online, in Social Media, Print sowie über großflächige Out of Home-Platzierungen in allen Großstädten ausgespielt. Für die Konzeption und Umsetzung zeichnet Serviceplan Hamburg verantwortlich, seit Dezember 2019 Leadagentur des „Spiegel“. „Nie aufhören zu hinterfragen.“: Unter diesem Claim macht die Kampagne den journalistischen Anspruch der „Spiegel“-Redaktion anhand der großen Themen der Zeit deutlich, vomKlimawandel über den Krieg in der Ukraine bis zu sozialer Gerechtigkeit. Mehr denn je geht es darum, Zusammenhänge in all ihrer Komplexität aufzuzeigen, kritisch über Missstände zu berichten und Widersprüche offenlegen. In der Umsetzung bedient sich die Kampagne gezielter Text-Bild-Scheren – eindrückliche Pressebilder stehen in Kontrast zu verkürzten, naiven oder auch falschen Aussagen. Der neue Markenauftritt läuft bis Ende des Jahres und wird durch Abo-Maßnahmen sowie Heft-Werbung imHörfunk und am POS flankiert. „Der Spiegel“ betont seine Kernwerte 5 OOH!– In Kürze

Mitte September hat BackMarket seine erste internationale Markenkampagne gestartet, im November ist der zweite Flight angelaufen. Unter dem Claim „Hello Again“ feiert der führende Marktplatz für erneuerte Technik die neue elektronische Langlebigkeit und zugleich des Internets liebstes Tier – die Katze. Bei allen Katzen nämlich entschuldigt sich BackMarket augenzwinkernd dafür, dass sie jetzt nicht mehr die Einzigen sind, die mehrere Leben haben. Dank professioneller Wiederaufbereitung (Refurbishment) verfügen Smartphones, Tablets und Laptops nun ebenfalls über mehrere Lebenszyklen. ZumUnwillen der Vierbeiner, die in den von der französischen Agentur Buzzman entwickelten Spots versuchen, eine Reparaturwerkstatt zu stürmen. „Unser Ziel ist es, wiederaufbereitete Technik so attraktiv und begehrenswert wie neue Technik zu machen“, sagt Alexandra Brandt, Head of Marketing bei Back Market für Deutschland und Österreich. „Denn das ist sie, wenn sie professionell erneuert wird. Deshalb verdient sie nicht nur genauso viel Vertrauen wie neue Technik, sondern auch genauso sichtbare, hochwertige Kampagnen.“ Frankreich, Großbritannien, Spanien und Deutschland sind die Schauplätze der 360°-Kampagne mit TV-, Digital- und Kinofilmen in verschiedenen Formaten, unterstützt von Social Media und einer umfassenden Plakatkampagne. Refurbishment verlängert Technikleben 6 OOH!– In Kürze

ImOktober geht die Kampagne „80 Millionen gemeinsam für Energiewechsel“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) in die nächste Phase. Zum Start der Heizsaison motivieren breite Kommunikationsmaßnahmen die Bevölkerung zum Sparen. Im Zentrum steht ein Kino- und TV-Spot, ergänzend laufen Schaltungen in Print und Out of Home; Funk- und Online-Audiospots rufen parallel zum Energiewechsel auf. Über die verschiedenen Bausteine soll die Kampagne die Menschen zielgenau erreichen und ihnen die jeweils passenden Informationen am richtigen Ort vermitteln. Um zu zeigen, dass auch Wirtschaft und Politik aktiv sind, werden die Maßnahmen von einer Best Practice-Reihe ergänzt, in der Unternehmer aus ganz Deutschland schildern, wie sie den Energiewechsel voranbringen. Eine Video-Reihe erklärt zudem, wie jeder zuhause mit einfachen Mitteln Energie sparen kann. Alle Inhalte laufen auf der Website energiewechsel.de zusammen. Hier findet sich auch der Infobaukasten, der die Kampagne für Multiplikatoren aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft öffnet. Zuständige Agentur ist die Hirschen Group Standort Berlin. BMWK macht Deutschland winterfest 7 OOH!– In Kürze

Alle Informationen zumWettbewerb unter www.plakadiva.com Einmal mehr geht es um die Beste Kreation, die Beste Innovative Nutzung und die Beste Mediastrategie Out of Home – der Fachverband Aussenwerbung (FAW) lädt zur Teilnahme am Wettbewerb PlakaDiva 2023 ein. Erstmals mit dabei: ein Sonderpreis für den Besten Einsatz von Out of Home zum gesellschaftlichen Nutzen. Mit dieser Neuerung trägt der FAW der Bedeutung des Mediums für Kampagnen mit gemeinnützigemHintergrund Rechnung. Informationen und Teilnahmeunterlagen zu allen Kategorien stehen ab sofort auf der Website www.plakadiva.com bereit, die zugleich als Plattform für die Einsendung der Bewerbungen fungiert. Die Einreichungsfrist endet am 31. Januar 2023. Anfang März tagt die Expertenjury von PlakaDiva, um im Anschluss für jede Kategorie die Shortlist der Kandidaten mit Chancen auf den Gewinn der PlakaDiva 2023 bekannt zu geben. Die Preisverleihung von PlakaDiva findet am 18. April 2023 in München statt. PlakaDiva 2023: Der Wettbewerb ist eröffnet PlakaDiva 2023 8 OOH!– In Kürze

Anzeige FARBWIRKUNG www.ellerhold.de ... einheitlich bei Tag und Nacht durch unseren 4/4-farbigen Plakatdruck für alle hinterleuchteten Plakate. Natürlich alles einteilig gedruckt. Wir drucken direkt in Ihrer Nähe an unseren vier bundesweiten Produktionsstandorten in Radebeul, Witten, Wismar oder Zirndorf. Kürzere Produktionszeiten | Geringere Lieferwege Mega-Light | City-Light-Board | City-Light-Poster | City-Light-Säule Mit einem ungewöhnlichen Ansatz erinnert die Stadt Salzburg ihre Bürger an die BoosterImpfung. In einer Fotobox, der „Boosterbox“, kann man ein Selfie machen und direkt posten, um die Bereitschaft zum Impf-Upgrade zu dokumentieren. SwingCards in den Bussen der Stadt liefern dazu die wichtigsten Informationen, zum Mitnehmen oder Scannen via QRCode. „Swingcards haben einfach den Vorteil, dass man die Info gleich in der Hand hat. Und die Boosterbox ist ein verspielter Weg, umAufmerksamkeit zu generieren. So erleichtern wir allen den Weg zur Impfung“, erklärt Harald Preuner, Bürgermeister der Stadt Salzburg. Die Aktion wurde in Zusammenarbeit mit der Progress Werbung realisiert und als „perfekte Kombination von Werbeträger, Verspieltheit und Direktzugriff “ mit der Out-of-Home-­ Trophy als beste Aussenwerbung des Monats Oktober in der Kategorie Sonderformate ausgezeichnet. Aus den zwölf Monatssiegern wird am Ende des Jahres der Preisträger der Progress-Out-of-Home-Trophy 2022 gekürt. Verspielter Weg zur Booster-Impfung Im Bild v.l.n.r.: Horst Buchmayer, Bianca Schertler (WARP 3), Bürgermeister Harald Preuner (Stadt Salzburg), Fred Kendlbacher, Dominik Sobota (Progress Werbung) 9 OOH!– In Kürze

An einer Hausfassade im Berliner Szeneviertel Schöneberg erstrahlt seit November ein neues Highlight aus dem Nachhaltigkeits-Portfolio des OOH-Anbieters blowUP media: „The Green“, ein 140 Quadratmeter großer vertikaler Garten mit eingebettetem Riesenposter. Der immergrüne, dauerhaft installierte vertikale Stadtgarten aus 12.000 verschiedenen Pflanzen kompensiert jährlich rund 1.150 Kilogramm CO₂. Die grüne Fassade sorgt für ein verbessertes Mikroklima, ist Lebensraum für Bienen und Insekten und macht Berlin ein Stückchen grüner. Platziert amKleistpark, imKreuzungsbereich in Richtung Potsdamer Platz und zum Autobahnkreuz Schöneberg, wird der „Vertical Garden“ täglich von rund 60.000 Menschen passiert. Das Riesenposter wird auf PVC-freiem „Green Line“-Material gedruckt und ist klimaneutral. Dazu ist es standardmäßig mit der luftreinigenden Beschichtung „The Pure“ versehen: Eine Anti-Smog-Beschichtung aus Titandioxid zersetzt so viele Schadstoffe wie sieben Bäume. Damit spart dieser Werbeträger 69 Prozent CO₂ gegenüber dem Standardmaterial. „The Green schafft einen grünen Rahmen für Marken. Der Vertical Garden sorgt für Aufmerksamkeit und positive Assoziationen – maximale Markenbekanntheit garantiert“, sagt Katrin A. Robertson, CEO von blowUP media. Als erster Kunde nutzt die GASAG AG The Green, um auf ihre nachhaltigen Produkte aufmerksam zu machen. Der Berliner Energiedienstleister will bis 2040 alle Tarife und Leistungen ausschließlich klimaneutral anbieten. Grüner Rahmen für Marken 10 OOH!– In Kürze

Mit einer neuen Image-Kampagne im auffallend modernen Look ist die Gothaer imOktober und November an die Öffentlichkeit gegangen. „Mit dem neuen Kampagnenansatz greifen wir das Thema der aktiven Zukunftsgestaltung auf: Menschen werden in ihren Vorhaben für die Zukunft bestärkt und können diese voller Optimismus und Zuversicht angehen, weil die Gothaer ihnen mit ,Mehr als nur Versicherungsschutz‘ zur Seite steht“, sagt Oliver Brüß, Vorstand Vertrieb und Marketing beim Versicherungskonzern. Der Auftritt richtete sich sowohl an Privatkunden mit Fokus auf junge Berufstätige als auch an Unternehmerkunden, hier mit Fokus auf kleine und mittelständische Betriebe. Leitidee und Kreativ-Konzept stammen von der Münchener Agentur Berger Baader Hermes, der Mediaetat wird von Mediacom, Düsseldorf, betreut. In der auf die Zielgruppe Privatkunden ausgerichteten Mediastrategie kamen Social Media, Online-Bewegtbild sowie TV und Connected TV zum Einsatz, abgerundet von Digital OOH-Platzierungen in deutschen Großstädten sowie prominenten OOH-Specials, unter anderem mit einem Riesenposter im Zentrum von Köln. Für die Zielgruppe KMU konzentrierte sich die Planung auf Social Media, Print und eine breite Online-Präsenz auf affinen Branchen-Websites, vervollständigt durch spezielle Targetings auf Online-Portalen. Gothaer thematisiert Zukunftsgestaltung 11 OOH!– In Kürze

Der Lebensmittelhersteller Frosta hat seine erste Riesenposter-Kampagne aus demHerbst vergangenen Jahres zu einem Upcycling-Projekt mit ebenso nachhaltigem wie sozialem Charakter gemacht. Aus den fast 1.000 Quadratmetern Plakatplane sind mehr als 2.000 robuste Einkaufshelfer genäht worden, jeder ein Unikat. Zur Auswahl stehen große Shopping Bags und kleinere Tiefkühltaschen, die man im Frosta Online-Shop erwerben kann. Da das Unternehmen die Produktions- und Versandkosten übernimmt, gehen die Erlöse aus dem Verkauf ohne Abzüge vollständig an das Kinder-Hospiz Sternenbrücke in Hamburg. Frosta-Marketing Direktor Sebastian Bernbacher: „Es war klar, wir machen eine große Plakatkampagne nur, wenn das Material im Nachgang nicht in die Mülltonne wandert und noch etwas Sinnvolles daraus entsteht.“ Bisher wurden über 300 Taschen verkauft und so eine Spendensumme von knapp 8.000 Euro erzielt. Bernbacher hofft auf weitere Unterstützung: „Wir wissen natürlich, dass es gerade in der aktuellen Zeit nicht selbstverständlich ist zu spenden. Umso mehr freuen wir uns über jeden Support – ob durch Kauf oder einfach nur durchs Weitersagen.“ Aus Plakat wird Tasche wird Spende 12 OOH!– In Kürze

In diesem Herbst startet erneut die Aktion „Lichtblicke schenken“ der Lichtenauer Mineralquellen, mit der verschiedene Projekte des SOS-Kinderdorf e. V. in Ostdeutschland mitfinanziert werden. Plakate, Station Videos und Radiospots bewerben die Initiative reichweitenstark in der Vertriebsregion. Im Handel machen spezielle Aktionskästen auf die Möglichkeit zur Unterstützung aufmerksam: Von jedem verkauften Kasten kommen 10 Cent den Projekten des SOS-Kinderdorf e. V. zugute. Darüber hinaus gibt es eine Verlosung von Malsets am POS. Bereits seit 2009 besteht die Partnerschaft zwischen dem sächsischen MineralbrunnenUnternehmen und dem Verein. In dieser Zeit kamen den Kinderdorf-Projekten durch „Lichtblicke schenken“ insgesamt 310.000 Euro zugute, mit denen über 35 Projekte realisiert werden konnten. Der SOS-Kinderdorf e. V. betreut Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien und solche, die nicht mit ihren leiblichen Eltern aufwachsen können. Die „Lichtblicke“ der Lichtenauer Mineralquellen und ihrer Kunden gehen in diesem Jahr an die SOS-Kinderdörfer in Berlin, Bernburg und in der Lausitz. Von Januar bis März 2023 gibt es wieder den „Wiener Eistraum“: eine 9.500 Quadratmeter große Eisfläche auf zwei Ebenen vor demWiener Rathaus, die im letzten Jahr 250.000 Besucher angezogen hat. Im Zeitraum der Veranstaltung stellt der OOH-Vermarkter Megaboard Werbekunden drei LED-Werbeflächen am Gelände des Eistraums zur Verfügung, ergänzt durch ein ca. 170 Quadratmeter großes Gerüst am Rathaus selbst. MegaboardCOO Gerald Schlosser: „Wir freuen uns, dass wir unseren Kunden auch heuer wieder den Wiener Eistraum für deren OOH-Kampagnen anbieten können. Durch die Beliebtheit des Events kann man mit unschlagbaren 4,3 Millionen Kontaktchancen rechnen.“ Lichtenauer schenkt „Lichtblicke“ Märchenhaftes Flair amWiener Rathaus Bildquelle: Lichtenauer Mineralquellen GmbH 13 OOH!– In Kürze

Der Wert der Werbung 14 OOH!–Fokus

Der Konsument eine Katze, die Werbung ein ungebetener Gast: Es fehlt weder an Bildern noch an Selbstkritik, wenn die Vertreter der großen deutschen Werbeverbände zusammenkommen, um die Hintergründe der zunehmend distanzierten Haltung von Politik und Öffentlichkeit gegenüber der Werbung auszuloten. Es geht um den Beitrag der Werbung zumWohlstand, zur Meinungsvielfalt und demokratischen Kultur einer Gesellschaft, es geht um die emotionale Bedeutung von Werbung für die Verbraucher, aber auch um Fehler und Versäumnisse der Branche selbst, diese Werte zu kommunizieren. Am exklusiven OOH! Round Table nehmen teil: Dr. Bernd Nauen (ZAW), Uwe Storch (OWM), Larissa Pohl (GWA) und Klaus-Peter Schulz (OMG) sowie Werbewirkungsexpertin Cornelia Krebs (september Strategie & Forschung). Das Gespräch moderiert FAW-Geschäftsführer Kai-Marcus Thäsler. 15 OOH!–Fokus

Bernd Nauen, Kritik hat zur Werbung immer dazugehört, auf der einen Seite. Auf der anderen Seite war die Werbebranche lange sehr selbstbewusst, denn Werbung war etwas Relevantes, in Gesellschaft und Wirtschaft stark verankert. Was hat sich aus Sicht des ZAW verändert? BERND NAUEN: Wir müssen differenzieren. Die Eigenwahrnehmung der Branche, die Verbraucheransichten, das Bild in den Medien, die Wahrnehmung der Politik und die objektive Bedeutung der Branche – das meiste davon geht nicht Hand in Hand. Zunächst zu dem, was aus der Sicht der Werbungtreibenden zählt: nämlich, ob sich ihre Investitionen auszahlen. Ich denke, es gibt keinen Grund in dieser Hinsicht alles in Frage zu stellen – auch wenn sich in bestimmten Sektoren nicht alle Versprechungen realisiert haben. Blicken wir auf den Wert der Branche, zum Beispiel im Hinblick auf ihre Bedeutung für eine vielfältige Medienlandschaft, sehe ich ebenfalls keinen Bedeutungsverlust. ImGegenteil, ich habe den Eindruck, dass diese wahrlich gesllschaftpolitische Dimension sogar wichtiger denn je ist. Allerdings, und das ist gefährlich, scheint diese Qualität an verschiedenen Stellen – auch politisch und medial – nicht mehr vollauf wahrgenommen zu werden. Hier müssen wir ansetzen. Zuletzt zu den Verbraucheransichten. Schauen Sie, vor kurzem ist der Deutsche Werberat 50 Jahre alt geworden. Zu seiner Entstehungsgeschichte im Jahr 1972 gehört dazu, dass Marktwirtschaft, Kapitalismus und damit auchWerbung im Zuge der 68-Bewegung in die Kritik gerieten. Die Wohlstandsentwicklung war recht weit vorangekommen, größere ökonomische Krisen und mit ihnen Fragen auch zur gesellschaftlichen Rolle und Verantwortung der Wirtschaft tauchen in dieser Zeit auf. Ähnlich ist es möglicherweise heute. Gibt es dennoch Unterschiede in der Kritik gegenüber 1972? NAUEN: Die Kritik ist, jedenfalls in bestimmten Milieus, sehr stark aufgeladen. Werbung ist hier eine Chiffre für ein Wirtschaftssystem, das grundsätzlich in Frage gestellt wird. Diese Art Werbekritik ist Ausdruck grundlegender Zweifel, die unter anderem vom Klimawandel angeheizt werden, der in der Tat enorme gesamtgesellschaftliche Herausforderungen mit sich bringt. Es kann nicht wundern, dass die Werbebranche hier ins Visier gerät und als Triebfeder von Überkonsum hingestellt wird. Das ist zwar zum großen Teil kaum evidenzbasiert, es verfängt aber. Uwe Storch, auf der diesjährigen DMEXCO und vor kurzem erneut in einem Interview haben Sie als OWM-Vorsitzender die mangelnde Akzeptanz von Werbung offen angesprochen – „Niemand liebt Werbung“ haben Sie gesagt. Warum? UWE STORCH: Bei der DMEXCO ging es in einem Panel um die Frage, wie wir heute im „Nebel“ der Kommunikation noch durchdringen können. Dabei wurde die These aufgestellt, dass Werbung nicht mehr so geliebt wird, wie sie früher geliebt worden ist. So kam es zu meiner zugespitzten Formulierung. Denn dass irgendjemand Werbung liebt, ist einfach eine vollkommen falsche Vorstellung. Wir finden toll gemachte Werbung, wir finden einzelne Bereiche, die uns auch bewegen, über die wir sprechen. Aber Werbung ist immer nur ein Teil von Kommunikation gewesen, und das sollte man auch nicht überhöhen. Ihre Kritik geht noch weiter, denn Sie haben die Werbebranche selbst für die ausbleibende Zuneigung der Konsumenten verantwortlich gemacht. Wie war das gemeint? STORCH: Meine Kritik betraf imWesentlichen den digitalen Bereich, der in fast jeder Hinsicht schlecht gemacht ist. Angefangen von der Kreation, von der Lesbarkeit, von der Kargheit, von der Art, wie man verfolgt wird, von der medialen Platzierung, von der medialen Aussteuerung bis hin zur Kontrolle. Damit haben wir für den Konsumenten im Digitalbereich von den vielen Optionen, die wir hatten, eigentlich die schlechteste gewählt. Wir haben ihn bombardiert in einemMaße, das direkt Reaktanzen erzeugen musste. Da müssen wir uns auch selbst an die Nase fassen, wir als Branche, aber auch wir als Werbetreibende, und dort einfach besser werden. Aber ich möchte nicht missverstanden werden, dass ich generell Werbung nicht gut finde oder nicht nachempfinden kann, welchen Beitrag Kommunikation leisten kann – ganz und gar nicht. Es gibt ganz wunderbare Werbungen, auch heute. Und wenn unsere Kinder später mal unsere Werbung von heute betrachten, den Schrei von Zalando oder manche Werbespots von Mercedes Benz, werden sie dabei genauso schmunzeln, wie wir heute über das HB-Männchen von vor 30, 40 Jahren schmunzeln. Dass irgendjemand Werbung liebt, ist einfach eine vollkommen falsche Vorstellung. UWE STORCH 16 OOH!–Fokus

beruflich engagiert sind oder im Search-Bereich einem gezielten Interesse nachgehen. Das ist dann sicherlich der falsche Zeitpunkt. Nicht zum falschen Zeitpunkt nerven, sondern zum richtigen unterhalten und auch genau darauf achten, welche Werbung für welche Marke, in welcher Tonalität, in welcher Emotionalität, in welchem Content, in welchem Umfeld wann zu den Menschen kommt – das sind Themen, auf die wir wieder sehr viel stärker in unserer Branche achten müssen. Das ergibt sich schon allein, weil wir technisch dazu gezwungen werden. Schließlich muss das Thema Third Party Cookies durch andere Optionen ersetzt werden. Dadurch geraten Content und Kontext wieder in einen stärkeren Fokus. Und das ist eine Grunddisziplin der Werbung, um für die nötige Akzeptanz zu sorgen. Cornelia Krebs, Emotionalität durch Werbung, emotionale Reaktionen auf Werbung sind der Bereich, in dem Sie forschen. „Niemand liebt Werbung“ – ist das auch das Ergebnis Ihrer Forschung? CORNELIA KREBS: Wir erleben genau das, was Uwe Storch eingangs gesagt hat – vieles in der Werbung ist schlecht gemacht und schlecht lesbar. In unserer Emotionsmessung sehen wir dann, dass sich bei den Probanden nichts tut. Dann dümpeln die Messkurven vor sich hin. Es gibt aber auch großartige Beispiele. „Sind wir nicht alle ein bisschen Bluna?“ wirkt bis heute, oder „Die Freiheit nehme ich mir“ – unglaublich, was wir da noch abrufen. Klaus-Peter Schulz hat es eben gesagt: Die Werbung ist nicht eingeladen, sondern sie klopft an. Ich gehe also draußen irgendwo herum, sehe Plakate, die Werbung kommt auf mich zu, und ich will das gerade gar nicht. Aber wenn sie mich aufstört, mich einen Hauch aufrüttelt, dann dringt sie durch. Und, was in der Emotion so wichtig ist – es muss eben relevant für mich sein. Wir testen regelmäßig alle Werbemittel, alle Stimuli durch und vermessen die mit ihren Emotionen. Und dabei begegnete mir ein Ferrero-Plakat mit den kleinen Schokoladenbonbons – manche waren verpackt, manche aufgeschnitten, manche „nackig“. Unsere Messungen zeigen: Solche Bilder lösen Attraktion und Relevanz im ganzen Larissa Pohl, auf dem GWA-Sommerfest haben Sie den Fachkräftemangel in den Agenturen angesprochen. In den 90er, 2000er Jahren war es ein absoluter Traumberuf, als Kreativer bei Springer & Jacoby oder Jung von Matt zu arbeiten. Jetzt scheint es nicht mehr so hip und angesagt Werber zu sein. Warum haben es die Werbeagenturen so schwer, Nachwuchs zu finden? LARISSA POHL: Zunächst einmal möchte ich die steile These in den Raum stellen, dass wir gerne auf uns selbst referenzieren. Ich weiß nicht, ob die bundesdeutsche Bevölkerung damals gesagt hat, da würde ich gerne arbeiten. Wir leben sehr stark in einer Bubble, wie man so schön sagt. Vielleicht hätten wir alle gerne da gearbeitet nach dem Motto: früher war alles besser. Der Fachkräftemangel aber ist ja keinWerber- oder Kommunikationsbranchenthema, sondern ein Thema, das wir wirklich überall sehen. Wir haben in einer Studie 500 Studierende von unterschiedlichen Fachrichtungen gefragt, was sie werden wollen oder welche Berufe für sie interessant sind. Auf Platz 1 war die Wissenschaft, das hängt sicherlich auch mit der momentanen Situation zusammen. Dann kamen die Unternehmensberatungen, die ja immer gerne gewählt werden, und als Drittes kommt dann schon die Kommunikationsbranche. Insofern muss man das ein bisschen differenzierter sehen. Was wir tatsächlich versäumt haben, ist, unserem Nachwuchs oder Fachkräften klarzumachen, was sie in den Agenturen erwartet. Wir haben immer wieder festgestellt: Menschen kommen in Agenturen aus Hörensagen. „Mein Vater hat eine Agentur“, „der Bruder von meinem Freund hat eine Agentur“, „ich kenne da jemanden“, „bei uns um die Ecke ist“ … so lernen Menschen Agenturen kennen. Und da machen wir zu wenig um die Agenturbranche bekannter und auch beliebt zu machen. Denn da glaube ich nach wie vor dran und erlebe es selbst: Es hat auch schon große Vorteile in der Agenturwelt zu arbeiten. Klaus-Peter Schulz, wenn man Verbraucher fragt, wie sehr die einzelnen Werbeformen stören, fällt natürlich immer wieder das Stichwort Unterbrecherwerbung etc. Inwieweit tragen die Medien Verantwortung für die zunehmend kritische Distanz der Menschen zu Werbung? KLAUS-PETER SCHULZ: Schon in den 90er Jahren habe ich gelernt: Werbung ist wie ein ungebetener Gast, der an die Tür klopft und vielleicht gerade zu ungelegener Zeit kommt. Wenn dieser Gast aber freundlich, witzig und charmant ist, einen unterhält und eine relevante Botschaft mit sich bringt, dann mache ich die Tür doch auf und lasse ihn herein. Und: Er muss durch die richtige Tür und zum richtigen Zeitpunkt kommen. Soll heißen: Es ist richtig, mit der Kreation auch den Nerv der Menschen anzusprechen, die ich erreichen will. Und genauso haben wir als Mediaagenturen und auch als Medien die Verantwortung dafür zu sorgen, dass die Werbung zum richtigen Zeitpunkt für die Menschen platziert wird. Nämlich dann, wenn sie aufgeschlossen und offen dafür sind. Und das ist bestimmt nicht dann, wenn sie gerade Der Konsument ist kein Hund, den ich abrichten kann, sondern eigentlich eine Katze. LARISSA POHL 17 OOH!–Fokus

POHL: Ich weiß gar nicht, ob es Liebe sein muss. Werbung hat ja den grundsätzlichen Sinn und Zweck, Marken oder Unternehmen zu helfen, Botschaften zum Konsumenten zu bringen. Es ist ein konkreter Nutzen hinter Werbung. Das darf man in dieser Diskussion nicht vergessen. Und das ist es, was auch viele Werbetreibende treibt – wie bringe ich die Information am besten von A nach B. Wir haben bei Ogilvy immer das Bild von einem Hund und einer Katze bemüht. Der Konsument ist kein Hund, den ich abrichten kann, sondern eigentlich eine Katze. Der Katze muss ich etwas anbieten, ich muss spielen, ich muss Aufmerksamkeit erregen, und die dreht sich halt auch um und geht weg, wenn sie das Interesse verliert. Es geht also nicht um Liebe. Es geht um Informationen und um die Vermittlung von Informationen. Werbung, die nur schön ist, braucht auch kein Mensch. Hohe Emotionen, totale Begeisterung, Zero-Effekt für die Marke – das ist auch nicht das, was wir wollen. SCHULZ: Natürlich geht es in der Werbung um den Erfolg einer Marke, eines Unternehmens. Es geht um den Return on Investment, es geht um Erfolgs-, um Absatz-orientierte KPIs. Das ist ein ganz wesentlicher Bestandteil. Dazu würde ich jetzt gerne die Diskussion um einen Aspekt erweitern, wenn nämlich Werbung erfolgreich ist. Und sie ist in den meisten Fällen für viele Marken sehr erfolgreich. Indem sie den Erfolg und langfristig auch den Markenwert einer Marke steigert und damit einen Beitrag sowohl zumAbsatz der Marke als auch zu ihrem Erfolg leistet, leistet Werbung auch gesamtwirtschaftlich einen Beitrag: zum Bruttoinlandsprodukt, für das Wachstum einer Gesellschaft. Die Werbung ist ein wesentlicher Faktor, um Wirtschaft anzutreiben, gerade auch in Krisenzeiten, wie wir sie im Moment erleben. Und damit einen positiven Impuls auf die Gesamtgesellschaft zu setzen. Ein zweiter Aspekt dazu: Werbung ist immer auch ein Ausdruck und ein Spiegel von Kultur und Kunst, von Ästhetik einer Gesellschaft. Werbung trägt erheblich zur Refinanzierung der Medienvielfalt bei. Die publizistische Vielfalt, die wir in unserem Lande haben, ist ein großer Wert und erheblicher Beitrag für eine demokratische, pluralistische Kultur. Dieser Wert und dieser Leistungsbeitrag der Werbung zur Refinanzierung der Medienvielfalt sollten nie unterschätzt werden. Er ist von unserer Branche auch wieder stärker zu betonen und in den Vordergrund zu stellen. Körper aus. Die Bio-Signale sprechen von Lust und Gier, diesem inneren Kind in uns. Unsere äußere Schale sagt die ganze Zeit „Ne, also Werbung, da muss ich aufpassen, das beeinflusst mich, das muss ich regulieren.“ Wenn ich aber reingehe in die Emotionen, können wir uns alle nicht davon befreien, dass unser Ich innen drin, das kleine, sagt „Haben wollen“. Weil einfach ein Bedürfnis ausgelöst wird. Das sehen wir durch die Bank weg. Es hängt wirklich enorm von der Kreation ab. Muss man denn wirklich Werbung lieben oder reicht es, wenn der Konsument dem bestenfalls indifferent gegenübersteht und sagt, „naja, ich nehme es halt zur Kenntnis“? STORCH: Indifferent sollte es nicht sein, dann hat es ja keine Wirkung. Dieser „ungebetene Besucher“, wenn der so charmant gemacht ist, dass man sich auf ihn einlässt, dann ist das ja Werbung im ursprünglichen Wortsinn. Man wirbt um jemanden. Und dieses um jemanden werben müssen, sollen, können, dürfen – das müssen wir Werbetreibenden wieder stärker in Mittelpunkt stellen. Dass man zum Beispiel die Plakate so macht, dass es diesen Appetizer-Effekt hat. Das geht auch in digitalen Werbeformaten. Ich glaube, wir haben zu viel, zu schnell auf Reichweite geschaut. Wir achten auf solche vielen technischen KPIs, dass uns das Werbung machen in der Werbung manchmal abhanden kommt. Wir müssen uns wieder mehr um die Qualität, um die Präzision im täglichen Doing kümmern. Dass es wieder funktioniert, dass man durchdringen mag. Diese Bild von jemandem, der klopft, unangemeldet, ungefragt an deine Tür, und du musst schon in diesem Moment entscheiden, ob du es toll oder schlecht oder störend empfindest – das ist ein ganz schönes Bild. Damit kann ich gut leben. Werbung ist immer auch ein Ausdruck und ein Spiegel von Kultur und Kunst. KLAUS-PETER SCHULZ 18 OOH!–Fokus

Kampagnen und Gruppen, die das kritisch sehen. Dabei handelt es sich aber meistens um eine elitäre Oberschicht, die sich Dinge leisten kann, die sich Menschen in der Grundgesamtheit nicht leisten können. Im Sinne der großen Allgemeinheit haben wir immer den Deal gehabt, dass wir zu einer pluralistischen Meinungsvielfalt kommen, die eben zum Teil mit Werbung finanziert ist. Im öffentlichen Raum stellen werbefinanzierte Bushaltestellen eine Sicherheit auch in der Stadt dar. Die Stadtmöblierung hat eine ungeheure Verbesserung der innerstädtischen Strukturen geschaffen. Das bedeutet enorm viel, gerade für Menschen mit geringem Einkommen. Als Bürger lehne ich absolut ab, dass wir uns von ganz kleinen Minderheiten Dinge vorschreiben lassen. Als Werbetreibender glaube ich, dass wir dafür kämpfen müssen, dass wir den ungehinderten Zugang zu Werbeflächen haben. Wir müssen verantwortlich gestalten, kein Mensch möchte überall an jedem Platz den Times Square haben. In Deutschland haben wir das aber nicht. Dafür haben wir schon eine in meinen Augen viel zu restriktive Stadtpolitik, die vieles nicht ermöglicht. Nach dem Tabakwerbeverbot sind weitere Werbeverbote im Gespräch, für Zucker, für Alkohol etc pp.; brauchen wir eine Kampagne der gesamten Branche für den Wert der Werbung? POHL: Wir als Kommunikationsleute müssen uns mit dieser Diskussion auseinandersetzen. Ich glaube, dass wir sicherlich etwas für unsere Branche tun müssen. Dass wir unsere Branche besser positionieren müssen in dem, was sie tut und was sie kann und was sie leistet innerhalb der Gesellschaft. Wir zeichnen ja mit dem Effie jedes Jahr denWert von Kommunikation aus, in unterschiedlichen Formen. Und man merkt, dass das Thema wichtiger denn je ist, was die Einreichungszahlen belegen. Interessant ist, dass der Effekt und der Wert von Werbung selbst in vielen Unternehmen gar nicht mal so klar sind, auch die Nachweisbarkeit gar nicht mal so klar ist. Und wenn innerhalb der Unternehmen Geld ausgegeben wird für etwas, von dem ich mir gar nicht sicher bin, was es bringt oder es nicht messe, dann müssen wir uns nicht In einer Publikation des ZAW vor einigen Jahren ging es in der Tat um das Thema Wert der Werbung und auch die Frage von Werbung in Krisenzeiten. Dringt man mit solchen Themen derzeit durch, politisch und gesellschaftspolitisch? NAUEN: Es ist viel erreicht, wenn wir unter den erschwerten Bedingungen, die wir mittlerweile haben, vermitteln können, dass Eingriffe nicht folgenlos sind, sondern ganz handfeste negative Auswirkungen haben. Wenn wir uns das Freiheitsniveau in Deutschland anschauen und mit anderen Ländern – auch in Europa – vergleichen, stehen wir aber immer noch ziemlich gut da. Auch aufgrund unseres Engagements. Wir müssen uns aber fragen, ob das künftig noch reicht – angesichts der Verschiebungen, die wir – auch in der Politik – bei der Wahrnehmung der Branche erleben, und zwar losgelöst von der jeweiligen Koalition einer Bundesregierung, ihrer Farbzusammensetzung. Betrachten wir zum Bespiel den beruflichen Hintergrund derjenigen, die über Gesetze entscheiden, die werberegulatorisch bedeutsam sind. Wir haben im Parlament sehr viele Berufsgruppen vertreten, Beamte, Lehrer oder anderweitig im Staatsdienst befindliche Personen, die sehr wenig Berührungspunkte und Erfahrungen mit unserer Industrie mitbringen, dafür aber starke Meinungen haben oder hiermit konfrontiert sind. Bereits die daraus resultierenden Herausforderungen sind größer als früher. Gleichzeitig sind die Mittel und Möglichkeiten Meinungen zu erzeugen – Stichwort: Campaigning – angewachsen. So erscheinen immer öfter kleine Gruppen wie eine politische Mehrheit, weil sie sehr gut organisiert und kampagnenfähig sind. Und in Bezug auf unsere Branche mit Werbewirkungsmodellen und Aussagen arbeiten, die wenig mit der Realität zu tun haben, aber selbst medial ziemlich unkritisch rezipiert werden. Damit ist klar: Wir müssen frühzeitiger auftreten, grundlegender argumentieren und, ja, auch deutlicher den Wert der Werbung vertreten. Die Fähigkeit zur Selbstkritik ist hierfür allerdings auch eine Voraussetzung. In Hamburg und Berlin erleben wir gerade, wie eine Werbeform – Aussenwerbung – von einer kleinen Gruppe diskreditiert wird und verboten werden soll. Dabei geht es auch um grundsätzliche Konsumkritik. Wie steht die OWM zu einem solchen Vorhaben, ein Medium einfach abzuschalten? STORCH: Wir alle verbinden mit einer Stadt bestimmte Eigenschaften, Größe, Offenheit, bunte Farben, Begeisterungsfähigkeit. Dass wir eine Stadt beleuchten und erhellen können, dass wir für Informationsvielfalt und Farbenfreude sorgen, ist ein großes Gut und absolut erhaltenswert. Ich verstehe durchaus die einzelnen Aspekte von politischen Kleine Gruppen erscheinen immer öfter wie eine politische Mehrheit. BERND NAUEN 19 OOH!–Fokus

Influencer, über Freunde und Bekannte orientiert, sondern auch wieder über journalistische Inhalte. Dies droht in der jungen Generation, der Generation Z verloren zu gehen. Frage an die Emotionsexpertin: Mit welcher Botschaft könnten wir rausgehen und der Bevölkerung klar machen, was sie an der Werbung hat? KREBS: Es ist sehr, sehr schwierig, solche Botschaften überhaupt zu transportieren. Das wurde jetzt schon mehrfach deutlich. Ein solches Thema über eine klassische Kampagne an die Bevölkerung heranzutragen, ist wirklich schwierig. Was aber nicht heißt, dass man es nicht versuchen sollte. Natürlich müssen wir kommunizieren. Wir werben für Dinge um den Konsum anzukurbeln, das ist unser Job. Die jungen Menschen, auch in unserer Branche, haben vielleicht andere Ziele, wollen mit Kommunikation dazu beitragen, die Gesellschaft zu verändern, wollen zu mehr Nachhaltigkeit in Werbung und Konsum. Lässt sich das miteinander vereinbaren? POHL: Die Kommunikation hat schon immer dazu beigetragen Gesellschaften zu verändern und auch gesellschaftliche Bilder zu positionieren und zu platzieren. Werbung wie früher für Jacobs Kaffee wäre heute schlicht undenkbar. Auch die barbusige „Fa“-Frau am Strand wäre heute schwierig. Man sieht, dass Diversity innerhalb von Kommunikation heute eine große Rolle spielt, und da tut die Branche auch viel. Es ist ja auch nicht so, dass die Jungen auf einmal nicht mehr konsumieren. Ganz imGegenteil, die konsumieren extrem viel. Die Medien, die Informationsquellen sind vielleicht andere. Oder die Kommunikation von Marken findet vielleicht woanders statt, zum Beispiel auf Influencer-Kanälen. Das Thema Nachhaltigkeit ist unsere Pflicht. Es geht um die Art und Weise, wie wir als Agenturen aufgestellt sind, wie wir produzieren. Müssen wir für einen Spot nach Südafrika fliegen, weil das Licht da so toll ist? Wie viel geht denn schon im Digitalen, mit AI oder wie auch immer. Hier müssen wir weitermachen. Ich muss aber von Menschen erwarten können, dass sie eine eigene Verantwortung haben. Es gibt viele Produkte, die in größerer Menge ungesund sind, gleichzeitig sind sie Genussprodukte. Ich finde es einfach scheinheilig zu sagen ich verbiete die Werbung, aber das Produkt nicht. Also, wenn ich der Meinung bin, dass Zigaretten ungesund sind wundern, wenn sich das auch nach außen hin nicht ändert. Insofern würde ich keine Kampagne machen für den Wert der Werbung. Ich würde lieber den Wert belegen und das kommunizieren. SCHULZ: Es ist aus meiner Sicht schon an der Zeit, dass die Branche gerade auch bei jungen Menschen kommuniziert, dass Werbung einen Wert hat und einen wichtigen Beitrag zur Refinanzierung von Medienvielfalt leistet. Ob es ein Beitrag zur Meinungsfreiheit ist, ist eher schwierig zu beantworten. Wir haben im Verband zwei Studien aufgesetzt, die sich mit dem Zusammenhang zwischen Medienvielfalt und Meinungsvielfalt beschäftigen. Das ist ein sehr komplexes Thema. Was wir auf jeden Fall gemeinsam tun können: Wir müssen weiter das Thema Werbeverbote adressieren. Wir dürfen da nicht nachlassen. Das zweite Thema, das wir adressieren müssen, ist die dominierende Stellung von Google, von Apple, von Meta. Wenn es unter Umständen darum geht, die Geschäftsmodelle zwischen Werbekunden, Agenturen und Medien zu beeinträchtigen, zur Begünstigung dieser marktbeherrschenden Unternehmen, dann ist das ein Thema, das wir Verbände alle auf die Agenda setzen müssen. Denn hier geht es um die Refinanzierung durch Werbung und auch den Beitrag zu journalistischer Qualität und Medienvielfalt. Drittens: Wir brauchen eine zukunftsgerichtete Weiterentwicklung des dualen Systems. Auch hier werden redaktionelle und journalistische Qualitäten geleistet, die wir in anderen Ländern und Märkten nicht haben. Und hier muss der Beitrag der Werbung zur Refinanzierung weiter ausgebaut werden, um auch weiterhin eine Unabhängigkeit von der Politik zu gewährleisten. Auch das ist ein wesentlicher Beitrag der Werbung in diesem Kontext. Und viertens stellt sich die wichtige Frage: „Wie können wir die Medienkompetenz gerade unter jungen Menschen in der Gesellschaft wieder durch geeignete Projekte und Initiativen erhöhen?“ Eine Medienkompetenz, die eben nicht nur darin besteht, dass man sich über Am Ende geht es um den Konsumenten, der die Werbung und diese Marken einfach braucht. CORNELIA KREBS 20 OOH!–Fokus

STORCH: Wir müssen das Handwerk auch beherrschen. ImDigitalbereich stehen wir in der Verantwortung. Das kann jeder von uns ändern. Das müssen die Agenturen, das müssen die Kreativagentur und das müssen auch wir Werbetreibende machen. Jeder kann im Kleinen arbeiten. Die Rezession wird unsere finanziellen Möglichkeiten limitieren; dann lasst uns auch diese Chance der Krise nutzen, manches in Frage zu stellen. Wenn wir schon sparen müssen, dann sparen an Dingen, die wir falsch machen. Und dann müssen wir Diskussionen führen, wie wir es besser machen können. Bei allen politischen Diskussionen, die wichtig sind, dürfen wir uns nicht gegenseitig bashen, auch bei bestehenden Interessenskollisionen. Aber wir müssen einfach in das Doing kommen, also von großen politischen Themen runterkommen und sagen „ich will, ich kann besser werden“, jeder an seiner Stelle. KREBS: Da liegt mir auch etwas auf dem Herzen. Wir bewegen uns hier in der Runde so sehr auf der politischen Ebene, dass wir kaum noch zum Konsumenten kommen. Wir werden ständig mit der Frage konfrontiert, ob man werben darf. Wir sagen aus psychologischer Sicht: Bitte, ja bitte! Gerade jetzt, nach Jahren der Pandemie, imAngesicht von Krieg und Rezession. Denn wenn sich Marken jetzt zurückziehen und nicht werben, dann fehlt den Menschen die letzte Botschaft zu sagen „Hey, Gott sei Dank, mein Kaffee morgens, der ist noch für mich da.“ „Ja, ich darf meine Schokolade noch essen, ich darf meinen Seelenstreichler noch haben“. Das wäre fatal. Weil wir, wenn wir helfen wollen, seelisch stabil sein müssen. Und Werbung hat eben auch diesen Auftrag, uns wieder Stabilität und Sicherheit zu geben – wir schaffen das, es wird weitergehen. Wir brauchen all diese Symbole. Wir müssen normal in den Tag kommen. Das ist psychologisch wertvoll. Am Ende geht es um den Konsumenten, der die Werbung und diese Marken einfach braucht. und den Menschen schaden, dann muss ich die Produkte verbieten. Alles andere ist Symbolpolitik. STORCH: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Ich habe große Bedenken, dass man die Werbung verbieten könnte, weil man die Produkte nicht verbieten darf. Da müssen wir wirklich sehr aufpassen. Es muss ein ehernes Grundsatz-Prinzip bestehen: Alle Produkte, die man frei, ohne Einschränkungen verkaufen kann, müssen auch beworben werden dürfen. Es mag tausend Gründe geben, um etwas verbieten zu wollen. Wenn wir aber in der Werbung alles klären wollen, was wir in der Gesellschaft versuchen zu verändern von Gender, von Nachhaltigkeit etc. etc. das ist einfach nicht richtig. Werbung ist wie der Spiegel einer Gesellschaft. Sie verändert sich, die Sprache ändert sich, die Einstellung ändert sich, und dann ist die Werbung immer ganz dicht an den Menschen. Wenn wir uns aber zu einem Büttel machen von politischen Gesinnungsmenschen, dann erweisen wir unserer pluralistischen Meinungsvielfalt einen absoluten Bärendienst. Ich fände ja immer ein Argument, warum etwas nicht gut ist, übertrieben, zu teuer, aufwändig und unökologisch. Wenn ich so weit denke, dann bin ich am Ende von allen Diskussionsthemen, und das darf die Werbebranche nie zulassen. Was kann der ZAW, was kann die Branche tun, um das negative Image der Werbung peu à peu zu drehen? NAUEN: Wir müssen, wie gesagt, erstens über denWert der Werbung sprechen und hier insbesondere über ihre handfesten, auch gesellschaftlichen Vorteile. Zweitens müssen wir die Mythen über die angeblich negativen Wirkungen überzeugend hinterfragen und drittens tragfähige Lösungen aufzeigen, etwa, wenn es um die Nachhaltigkeit der Branche geht. Da müssen wir wirklich aufsatteln. Und wir müssen Formate finden, um besser ins Gespräch zu kommen. Ich habe den Eindruck, dass die Branche an diesem Punkt nicht so gut aufgestellt ist wie andere Industrien – obwohl es unser Metier sein sollte. Auch hier müssen wir nachlegen. SCHULZ: Wir müssen insgesamt über uns und über den Wert der Werbung besser, effizienter kommunizieren. Gemeinsam alle zusammen, mit allen Verbänden, mit allen Bereichen der werbungtreibenden Wirtschaft. Wir müssen deutlich machen, wie wichtig der Beitrag der Werbung zur Refinanzierung der Medienvielfalt ist, als Leistung für eine demokratische, pluralistische Kultur und als Treiber einer marktwirtschaftlichen Konjunktur, gerade auch in Krisenzeiten. Wir müssen diese Dinge besser herausstellen, besser bei den Stakeholdern kommunizieren, gerade auch in der Politik, zusammen mit den Partnern der Medien. Da sehe ich unsere Aufgabe. Der vorliegende Text ist eine inhaltliche Verdichtung des 80minütigen Gesprächs. Hier können Sie das ausführliche Round Table-Gespräch als Podcast verfolgen. 21 OOH!–Fokus

Experten – die neuen Sittenwächter Wer Werbeverbote verlangt, zum Beispiel für Tabak oder Zucker, hält die Bevölkerung für leichtgläubig und beeinflussbar, um nicht zu sagen: für dumm. Dieses antiaufklärerische Denkmuster stammt aus alten Zeiten, nur der Stein des Anstoßes wurde ausgetauscht. Im ausgehenden 18. Jahrhundert musste die Obrigkeit im Land der Dichter und Denker feststellen, dass sich eine neue, gefährliche Seuche verbreitet hatte. Es war weder Virus noch Bakterium, sondern eine epidemische Verhaltensstörung: Die Lesesucht hatte das Volk ergriffen, und die damals aufkommenden öffentlichen Leihbüchereien galten als ihre Brutstätten. Die Autoritäten waren alarmiert. Sie sahen das enthemmte Lesen als eine Bedrohung nicht nur für Sitte und Moral, sondern auch für ihren eigenen gesellschaftlichen Status. Wollte sich das Volk lesenderweise von ihnen emanzipieren und sich die Freiheit nehmen, selbständig zu denken und sein Wissen aus neuen Quellen zu beziehen? Das zügellose Lesen in der breiten Bevölkerung galt den Autoritäten jedenfalls als mehrfach gemeingefährlich. Bald war es schiere Zeitvergeudung, die den einfachen Mann von der Arbeit und die brave Ehefrau von der Sorge um Familie und Kirche abhalten ließ. Bald wurde der Lesesucht aber auch umstürzlerisches Potenzial unterstellt. Wer liest, was er will, entzieht sich der Kontrolle der Autoritäten und kommt womöglich auf Ideen, die der Obrigkeit gar nicht passen. Die lesende Frau war eine besondere Gefahr. Denn Frauen galten als leichtgläubig und beeinflussbar. Das schöngeistige Fach könnte am Ende gar die Moral der Leserin gänzlich verderben. Und überhaupt entzog sich die Frau durch die Leserei der männlichen Aufsicht. Eine unerhörte Aufmüpfigkeit! Politische Eliten fühlen sich dazu berufen, das Volk auf den Tugendpfad zu führen Aber auch die Männer galten als gefährdet. Nicht nur, dass sie durchs Lesen faul wurden; mit empfindsamer Literatur könnten sie sich womöglich „Leib und Seele verzärteln“, mahnten die Autoritäten. Die Lage war also ernst. Man musste diese Sucht mit Verboten und rigiden Regeln bekämpfen. Der „Werther“ sollte das prominenteste Opfer dieses Kulturkampfes zwischen den alten Eliten und dem aufstrebenden Bildungsbürgertum werden. Das ist lange her, und dass der „Werther“ heute nicht mehr so eifrig gelesen wird wie auch schon, hat andere Gründe. Doch bis heute überlebt hat das politische Motiv von der gemeingefährlichen – um nicht zu sagen: staatsschädigenden – Verhaltensepidemie. Bis heute erhalten haben sich auch das antiaufklärerische Menschenbild und der Machtdünkel der politischen Eliten, die sich dazu berufen fühlen, das Volk wie ein kleines Kind an der Hand zu nehmen und auf den Tugendpfad zu führen. Allein der Stein des Anstoßes ist ausgetauscht worden. Heute ist nicht mehr das Buch das große Übel der Massen; es sind der Tabak, der Zucker, das Die OOH!-Gastautorin Claudia Wirz ist freie Journalistin und Kolumnistin der „NZZ“; sie wohnt im schweizerischen Zug. 22 OOH!–Aspekte

Fleisch, das Fett, das Salz oder der Wein, vor denen es die Gesellschaft zu schützen gilt. Übergewicht gilt offiziell als „Volkskrankheit“, als Epidemie, die es selbstverständlich von staatlicher Stelle zu bekämpfen gilt. Gekämpft wird mit steuerfinanzierten Studien, die zuverlässig die vom Auftraggeber gewünschten Ergebnisse liefern, und mit denen man dann Programme und Regulierungen etwa zur Zuckerreduktion oder gar Werbeverbote legitimieren und ein schnell wachsendes Heer von gutbezahlten Experten mit der Umsetzung und Überwachung betrauen kann. Die Experten sind die Sittenwächter der Moderne. ImWohlfahrtsstaat ist der Umgang mit dem eigenen Körper keine Privatsache Zu diesem illustren Kreis moderner Moralapostel gehören selbstverständlich auch die Funktionäre von WHO und OECD. Sie beobachten, vermessen, empfehlen und erteilen Zensuren an die Bevölkerungen einzelner Länder. Mit ihrem demokratisch kaum legitimierten Aktionismus scheuen sie sich auch nicht davor, in die Souveränität der einzelnen Staaten einzugreifen. Und viele Staaten lassen sich das gefallen. Anders als früher geht es den politischen Eliten heute nicht nur um die Rettung von Sitte und Moral, sondern auch und vor allem um „das System“. Sich ein Bäuchlein anzueignen oder eine Zigarre zu schmauchen, ist im Zeitalter des vermeintlich solidarischen Wohlfahrts- und Umverteilungsstaats keine Privatsache mehr. ImWohlfahrtsstaat ist der Umgang mit dem eigenen Körper eine Staatsangelegenheit, die alle betrifft und deshalb der Aufsicht der Experten unterstellt werden muss. Der Körper ist quasi nur vom Staat geborgt. Diese Denkweise spiegelt sich exemplarisch in der Widerspruchslösung bei der Organspende. Mit Hingabe rechnen uns die zahlreichen involvierten Behörden, Organisationen und Institute vor, wie sehr die Dicken, die Raucher, die Weinliebhaber oder die Fleischesser den Staat, seine sozialen Institutionen und natürlich auch das Klima schädigen. Die zuliefernde Industrie, die all diese zwar legalen, aber „bösen“ Produkte zur Verfügung stellt, wird dabei zu einer Art Klassenfeind umgedeutet, der vom Staat an die Kandare genommen werden muss. Für staatliche Untätigkeit gebe es jetzt keine Entschuldigung mehr, schreibt die OECD und verspricht: „Davon wird auch die Wirtschaft profitieren.“ Wer vom gepflegten Behördenbüro heraus solche Ratschläge erteilt, offenbart ein zutiefst etatistisches Denken. Mit dieser „Anmaßung von Wissen“ imHayekschen Sinn ist man aber weder befugt noch qualifiziert, darüber zu urteilen, was für die Wirtschaft gut ist. Wer so denkt, hat vielmehr den Glauben an die Marktwirtschaft, an die Selbstregulierung der Märkte und vor allem an die Vernunft des Einzelnen längst aufgegeben, sofern dieser Glaube denn überhaupt jemals vorhanden war. Werbeverbote sind ein Fanal für die Entwicklung der Demokratie Das Beispiel zeigt, wie tief verankert die Staatsgläubigkeit mittlerweile ist, und zwar mitnichten nur im linken Lager. Das Motiv des Klassenkampfs zieht weite Kreise, nicht zuletzt in der akademischen Blase. Letztlich geht es dabei wie anno dazumal darum, Macht und Status der politischen und bürokratischen Eliten zu sichern und weiter auszubauen. Mit den Effekten des Umverteilungsstaats lässt sich so gut wie jeder staatliche Dirigismus legitimieren. Jede einzelne entsprechende Regulierung ist jedoch eine Absage an das vernünftige Individuum, für dessen Emanzipation unsere Vorfahren einst so hart gekämpft haben. Man mag Werbeverbote für eine Randnotiz halten; aber in ihrem Wesen sind sie antiaufklärerisch und bevormundend und in dieser Eigenschaft ein Fanal für die Entwicklung der Demokratie. Derlei Verbote und Regulierungen mögen den gesellschaftlichen Status der neuen Obrigkeiten stärken; für die Freiheit des Einzelnen hingegen sind sie eine – leider weitherum unterschätzte – Bedrohung. Claudia Wirz Wilhelm Amberg: Vorlesung aus Goethes „Werther“, 1870 23 OOH!–Aspekte

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