OOH-Magazin Ausgabe 4 - 2022

Bernd Nauen, Kritik hat zur Werbung immer dazugehört, auf der einen Seite. Auf der anderen Seite war die Werbebranche lange sehr selbstbewusst, denn Werbung war etwas Relevantes, in Gesellschaft und Wirtschaft stark verankert. Was hat sich aus Sicht des ZAW verändert? BERND NAUEN: Wir müssen differenzieren. Die Eigenwahrnehmung der Branche, die Verbraucheransichten, das Bild in den Medien, die Wahrnehmung der Politik und die objektive Bedeutung der Branche – das meiste davon geht nicht Hand in Hand. Zunächst zu dem, was aus der Sicht der Werbungtreibenden zählt: nämlich, ob sich ihre Investitionen auszahlen. Ich denke, es gibt keinen Grund in dieser Hinsicht alles in Frage zu stellen – auch wenn sich in bestimmten Sektoren nicht alle Versprechungen realisiert haben. Blicken wir auf den Wert der Branche, zum Beispiel im Hinblick auf ihre Bedeutung für eine vielfältige Medienlandschaft, sehe ich ebenfalls keinen Bedeutungsverlust. ImGegenteil, ich habe den Eindruck, dass diese wahrlich gesllschaftpolitische Dimension sogar wichtiger denn je ist. Allerdings, und das ist gefährlich, scheint diese Qualität an verschiedenen Stellen – auch politisch und medial – nicht mehr vollauf wahrgenommen zu werden. Hier müssen wir ansetzen. Zuletzt zu den Verbraucheransichten. Schauen Sie, vor kurzem ist der Deutsche Werberat 50 Jahre alt geworden. Zu seiner Entstehungsgeschichte im Jahr 1972 gehört dazu, dass Marktwirtschaft, Kapitalismus und damit auchWerbung im Zuge der 68-Bewegung in die Kritik gerieten. Die Wohlstandsentwicklung war recht weit vorangekommen, größere ökonomische Krisen und mit ihnen Fragen auch zur gesellschaftlichen Rolle und Verantwortung der Wirtschaft tauchen in dieser Zeit auf. Ähnlich ist es möglicherweise heute. Gibt es dennoch Unterschiede in der Kritik gegenüber 1972? NAUEN: Die Kritik ist, jedenfalls in bestimmten Milieus, sehr stark aufgeladen. Werbung ist hier eine Chiffre für ein Wirtschaftssystem, das grundsätzlich in Frage gestellt wird. Diese Art Werbekritik ist Ausdruck grundlegender Zweifel, die unter anderem vom Klimawandel angeheizt werden, der in der Tat enorme gesamtgesellschaftliche Herausforderungen mit sich bringt. Es kann nicht wundern, dass die Werbebranche hier ins Visier gerät und als Triebfeder von Überkonsum hingestellt wird. Das ist zwar zum großen Teil kaum evidenzbasiert, es verfängt aber. Uwe Storch, auf der diesjährigen DMEXCO und vor kurzem erneut in einem Interview haben Sie als OWM-Vorsitzender die mangelnde Akzeptanz von Werbung offen angesprochen – „Niemand liebt Werbung“ haben Sie gesagt. Warum? UWE STORCH: Bei der DMEXCO ging es in einem Panel um die Frage, wie wir heute im „Nebel“ der Kommunikation noch durchdringen können. Dabei wurde die These aufgestellt, dass Werbung nicht mehr so geliebt wird, wie sie früher geliebt worden ist. So kam es zu meiner zugespitzten Formulierung. Denn dass irgendjemand Werbung liebt, ist einfach eine vollkommen falsche Vorstellung. Wir finden toll gemachte Werbung, wir finden einzelne Bereiche, die uns auch bewegen, über die wir sprechen. Aber Werbung ist immer nur ein Teil von Kommunikation gewesen, und das sollte man auch nicht überhöhen. Ihre Kritik geht noch weiter, denn Sie haben die Werbebranche selbst für die ausbleibende Zuneigung der Konsumenten verantwortlich gemacht. Wie war das gemeint? STORCH: Meine Kritik betraf imWesentlichen den digitalen Bereich, der in fast jeder Hinsicht schlecht gemacht ist. Angefangen von der Kreation, von der Lesbarkeit, von der Kargheit, von der Art, wie man verfolgt wird, von der medialen Platzierung, von der medialen Aussteuerung bis hin zur Kontrolle. Damit haben wir für den Konsumenten im Digitalbereich von den vielen Optionen, die wir hatten, eigentlich die schlechteste gewählt. Wir haben ihn bombardiert in einemMaße, das direkt Reaktanzen erzeugen musste. Da müssen wir uns auch selbst an die Nase fassen, wir als Branche, aber auch wir als Werbetreibende, und dort einfach besser werden. Aber ich möchte nicht missverstanden werden, dass ich generell Werbung nicht gut finde oder nicht nachempfinden kann, welchen Beitrag Kommunikation leisten kann – ganz und gar nicht. Es gibt ganz wunderbare Werbungen, auch heute. Und wenn unsere Kinder später mal unsere Werbung von heute betrachten, den Schrei von Zalando oder manche Werbespots von Mercedes Benz, werden sie dabei genauso schmunzeln, wie wir heute über das HB-Männchen von vor 30, 40 Jahren schmunzeln. Dass irgendjemand Werbung liebt, ist einfach eine vollkommen falsche Vorstellung. UWE STORCH 16 OOH!–Fokus

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