Table of Contents Table of Contents
Previous Page  21 / 44 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 21 / 44 Next Page
Page Background

OOH!: Wie schmal ist der Grat zwischen Häss-

lichem und Schönem?

WEINZETTL:

Wenn ich mir die Werbung

ansehe, ist der Grat ein ganz schmaler und

einer, der absolut dem Zeitgeschmack unter-

worfen ist und sich auch entsprechend schnell

verändert. Die Werbung greift ja meist auf Ten-

denzen in der Kunst, Strömungen in der Mode

oder der Musikszene zurück – im Übrigen oft

als Letzter in der Kette, was bedeutet, dass ein

Trend endgültig im Mainstream aufgegangen

und damit für bestimmte Segmente, aus denen

die Trends ursprünglich hervorgingen, bereits

erledigt, „out“, ist.

Das, was vom Zeitgeschmack, im Falle der

Werbung von einer möglichst großen Öffent-

lichkeit als „schön“ empfunden wird, ist das,

was im Trend liegt.

OOH!: Umberto Eco hat über die Ästhetik des

Hässlichen geschrieben. Sind wir in einer Zeit,

in der das Hässliche ausgespart wird, insbe-

sondere durch camouflierende Werbung?

WEINZETTL:

Die Werbung präsentiert

immer eine idealisierte Welt beziehungsweise

eine Welt, mit der sie beim Konsumenten

punkten kann. Marken suchen nach Akzeptanz

durch die Konsumenten, so breit wie möglich.

Es erinnert mich an Todd Brownings Horror-

klassiker „Freaks“ aus dem Jahr 1932. In der

berühmten und oft zitierten letzten Passage des

Films schreien die Freaks „One of us! We

accept her.“, nachdem die böse weibliche

Hauptfigur mit dem Namen Venus auch auf

Freak-Maße zurechtgestutzt wurde. Für das

Gefühl für „one of us“ gehalten zu werden,

würden Marken alles tun – das Hässliche aus-

sparen, wenn es zweckmäßig erscheint, um

Aufmerksamkeit und Akzeptanz zu erzielen,

oder mit Hässlichem provozieren, wenn man

das Gefühl hat, dass man damit der Zielgruppe

besser gefällt.

OOH!: Wo beginnt Kitsch, jenseits des Häss-

lichen und Schönen?

WEINZETTL:

In unserem postmodernen

Zeitalter ist es wenig sinnvoll, mit dem Begriff

„Kitsch“ zu operieren, denn längst ist alles zum

Zitat von etwas Anderem geworden. Gewisser-

maßen kann alles Mögliche als Kitsch goutiert

werden und sei es auf ironische Weise. Jemand

hat den Kitsch einmal als Abstecher zum

Gefühl bezeichnet, und in diesem Sinn ist Wer-

bung zu 90 Prozent Kitsch und kann auch gar

nichts anderes sein.

OOH!: Inwieweit kann man mit Hässlichem

Schönes provozieren?

WEINZETTL:

Ich kann mir das nur im

Bereich des Social Advertising vorstellen. Mit

Hässlichem aufzuwarten und zu hoffen, dass

die Provokation, sofern sie als solche empfun-

den wird, Schönes – also für die Gesellschaft

insgesamt Nützliches – hervorbringt. Ich denke

etwa an krasse Kampagnen, die aus Rauchern

Nichtraucher machen sollen oder aus Rasern

verantwortungsvolle Autofahrer. Ob diese

Methode wirkt oder völlig absurd ist – weil von

der intendierten Zielgruppe einfach ausgeblen-

det – hat aber bisher noch niemand endgültig

beweisen können.

Interview: Dr. Helmut Strutzmann

Michael Weinzettl studierte an der Johann

Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt

am Main für den Master of Arts (M.A.),

Cultural Studies/Critical Theory and Analysis

und lehrte von 1981–1991 als Dozent an der

VHS Adult Education, ebenfalls in Frankfurt.

Seit 1987 ist er Chefredakteur und Heraus­

geber von Lürzer’s Archive. (Foto: Carioca)

www.luerzersarchive.com

Hier Botschaft, dort Kitsch und Crudelity:

Benetton weist auf Vergewaltigung und

Doppelmoral hin, mit einem Motiv, das auf

den ersten Blick reine Harmonie ist. Anderer-

seits: die inszenierte Gewalt des Fleisches. Der

Schock zeigt sich brutal und wird somit banal.

21

OOH!–Aspekte