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Gäbe es einen Fanclub für jedes Medium, die Litfaßsäule hätte wohl

den größten. Der bis zu 3,60 Meter hohe Zylinder, 1855 in Berlin

„geboren“, wartet in jeder Beziehung mit Idealmaßen auf – einer

außergewöhnlichen Figur, einer ansprechenden Größe und einem

einzigartigen Raum zur Inszenierung. Mitten in der Öffentlichkeit

bringt die Litfaßsäule ihre Botschaften reichweitenstark unter die

Leute, ist Zeitzeuge, Ausrufer, optischer Anker, originärer Bestandteil

des Stadtbildes – de facto der Inbegriff urbanen Lebens.

Eigenschaften, die einen weiten Kreis von Nutzern faszinieren – kom-

merzielle Werbungtreibende und deren Kreativagenturen, vor allem

aber auffallend viele Kunst- und Kulturschaffende, die hier einen

direkten Zugang zu einem breiten Publikum finden, jenseits der

Museen, Theater und Ausstellungsräume.

Und auch die Kulturverantwortlichen der Städte beziehen das Poten-

zial des traditionsreichen OOH-Mediums zunehmend in ihre Arbeit

ein. Anfang Mai erst hat der Frankfurter Kulturmanager Florian Koch

eigens eine Litfaßsäule im belebten Stadtteil Sachsenhausen aufstellen

lassen, als „Frankfurter Kultursäule“, die nun regelmäßig von Künst-

lern bemalt oder plakatiert werden soll.

In Salzburg fördert eine Kulturinitiative von Stadt und Land bereits

seit Jahren die Besetzung des öffentlichen Raums durch Kunst auf

Litfaßsäulen, unterstützt vom ansässigen OOH-Unternehmen Progress

(siehe Seite 19). „Bildende Kunst und Plakat sind gewissermaßen

Zwillinge. Plakate wären ohne die Künstler nicht denkbar und die

Verbreitung von Kunst nicht ohne Plakat und insbesondere die

Litfaßsäule“, betont Progress-Geschäftsführer Fred Kendlbacher.

Die Kunst findet nicht im Saale statt

„Die Kunst findet nicht im Saale statt“, so der programmatische Titel

einer Ausstellung mit politischen Plakaten von Klaus Staeck, die 2014

in Berlin drei Wochen lang auf mehr als 300 Litfaßsäulen gezeigt

wurde. Staeck gilt als einer der bedeutendsten deutschen Plakatkünst-

ler und erinnert sich gerne an seine besonders aktive Schaffenszeit

zurück. Bereits Anfang der 70er Jahre hat der ehemalige Präsident

der Akademie der Künste das Medium Plakat genutzt, um Aufmerk-

samkeit zu erzielen, unabhängig von Zielgruppen oder Mediaplänen.

Er wollte die gesamte Öffentlichkeit erreichen. Und das gelang ihm

mit einem Paukenschlag. „Würden Sie dieser Frau ein Zimmer ver-

mieten?“ war auf Litfaßsäulen in Nürnberg 1971 zu lesen. Im Hin-

tergrund das berühmte Porträt der Dürer-Mutter.

Ein Test, wie Staeck erklärt. Die Aufregung in der Stadt war groß,

die beworbene Ausstellung imGermanischen Nationalmuseum

daraufhin ein voller Erfolg. Den Litfaßsäulen ist er seitdem

immer treu geblieben, fast 400 Plakate hat Staeck – vom Ber-

liner „Tagesspiegel“ durchaus respektvoll als „Alleskleber“

tituliert – seit den 70er Jahren gestaltet und veröffentlicht,

um für seine Ideen und Anschauungen zu werben.

Ein junges Medium – studentisch, intellektuell, zeitgenössisch

Wie viele andere Künstler hat Staeck damit auch die Kreativen in der

Werbung erreicht und nachhaltig beeindruckt. „Als Texterin mag ich

natürlich die satirischen Plakate von Klaus Staeck“, sagt Kerrin

Nausch, Creative Director der Agentur BrandsOnSpeed. „Unglaublich,

wie erschreckend relevant seine Motive aus den 70ern zum Teil heute

noch sind.“

„Als kunstinteressierter Mensch nimmt man natürlich mit, was auf

der Säule passiert“, bestätigt Kai Röffen, Geschäftsführer von thjnk

Düsseldorf. „Ich sehe die Säule als junges Medium – studentisch,

intellektuell, zeitgenössisch.“ Gerade wegen des besonderen Formats

animiere die Litfaßsäule zum aufmerksamen Hinschauen und zu einer

intensiven Auseinandersetzung mit der Botschaft – „damit sind wir

wieder bei Kunst und Kultur“. Diesen Ursprung in Kreativität für

kommerzielle Kommunikation zu übersetzen – „darin steckt eine

große Herausforderung“.

Die öffentliche Zeitung von der Spree als Erfolgsmodell

Angefangen hat alles mit zunächst 150 „Annoncier-Säulen“ vor mehr

als 160 Jahren in Berlin, wo heute noch über 3.000 Säulen zu finden

sind. Buchdrucker und Unternehmer Ernst Litfaß wollte Schluss

machen mit der Wildplakatierung an der Spree, konzipierte kurzer-

hand die Anschlagsäule, die wenig später seinen Namen trug und

erhielt dafür 1854 vom Berliner Polizeipräsidenten einen Monopol-

vertrag. Als Vorbild der ersten Säulen dienten ähnliche Stadtmöbel

aus London und Paris.

Was auf der Säule veröffentlicht wurde, sprach sich sofort herum. Die

Säule funktionierte wie eine „öffentliche Zeitung“. Hier wurden

zunächst die neuesten behördlichen Nachrichten bekannt gegeben.

Bald aber kam Werbung dazu – von Theatern, Geschäften oder

Kulturschaffenden.

Als behördliches Informationsmedium verlor die Säule mit der Zeit

an Bedeutung. Geblieben sind Kunst, Kultur und die Werbung. Beiers­

dorf wirbt hier etwa für Nivea, genauso wie Subway für sein Ham-

Sub-Sandwich. Skurrile Umsetzungen prägen immer wieder den

Straßenrand. 2010 bewarben rund 2.000 duftende Plakate in sechs

deutschen Städten ein neues Hundefutter von Beneful, um hungrige

Vierbeiner anzulocken. 2012 verkleidete Red Bull Säulen als

blau-silberne Dosen, 2013 wurden zum Start des Kinofilms „Ich –

Einfach unverbesserlich 2“ 15 Säulen in sieben Städten zu über-

dimensionalen Minions umfunktioniert. Und zur Weih-

nachtszeit verwandelte sich in Köln eine Säule in eine

übergroße Adventskerze.

Dr. Marc Bieling, Geschäftsführer der Draussenwerber in

Berlin, vermarktet nicht nur das Medium, er hat sich auch

sehr intensiv mit der Historie auseinandergesetzt: „Die Säule,

insbesondere die Kultursäule, hat ihren Charakter behalten

Credits: Peggy Stein, ©Christoph Pöggeler

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OOH!–Fokus