OOH-Magazin Ausgabe 2 - 2022

Das ist nun mehr als 100 Jahre her. Hat es danach keine derart großen Veränderungen in der Gestaltung gegeben? GROHNERT: Es gibt Zeiten, in denen es so dahin dümpelt, da würde ich auch die jetzige hinzuzählen, trotz Digitalisierung. In den 1920er Jahren gibt es konträre Konzepte, die gleichzeitig zu sehen sind – wie das Art Deco und die neue Sachlichkeit, das Bauhaus. Es wird viel diskutiert, warum dies so aussieht und jenes so. Alles befruchtet sich gegenseitig. Und diese Art von Unterschiedlichkeit, die haben wir heute nicht. Wir haben eine hohe Konzentration auf die Funktion, es geht ja umWirkung. Das bringt natürlich eine gewisse Art von Gleichförmigkeit hervor. Findet sich diese Konzentration auf die Funktion in der Ausstellung wieder? GROHNERT: Tatsächlich haben wir bewusst darauf verzichtet, uns nur mit unseren Highlights durch die Epochen zu bewegen. Natürlich wollen die Leute Highlights sehen, die wollen Toulouse-Lautrec, die wollen Mucha, wollen Rambow, Matthies und Loesch. Das kriegen sie auch, es ist ja für uns ein Ausweis der Fähigkeit und der Qualität. Aber für die Geschichte, die wir erzählen – wie sich die Dinge verändern, wie sich die Themen verändern, wie sich auch das Aussehen durch Drucktechnik und Papierqualität ändert, dazu braucht man keine wirklichen Highlights. Normale Filmplakate in den Kinos werden von viel mehr Menschen gesehen als künstlerisch anspruchsvolle Theaterplakate. Diese Wahrnehmung durch schiere Quantität kann man nicht einfach ignorieren. Sie ist da, sie funktioniert. Insofern muss man sich mit diesen Plakaten, die ein bisschen mehr „Wald und Wiese“ sind, genauso beschäftigen wie mit den Highlights. Im „Future Lab“ zur digitalen Zukunft des Plakats Mit dem Einzug der Digitalisierung in den öffentlichen Raum eröffnen sich auch für Künstler bisher unbekannte gestalterische Möglichkeiten. Wie greift „We want you!“ die neuen Perspektiven auf ? GROHNERT: Das ist unser „Future Lab“, so lautete die Arbeitsbezeichnung. Am Ende der Ausstellung gibt es eine Abteilung mit dem Namen „Animierte Plakate“, und zwar Animation in zweierlei Hinsicht. Zum einen sind dies Jazz-Plakate aus einer großen Ausstellung mit Niklaus Troxler, die von Studenten der Akademie für Mode und Design in ihre Einzelteile zerlegt und durch Animationen wieder zusammengesetzt wurden. So entsteht ein völlig neuer Blick auf die Einzelteile, auf die Farbgebung, auf die Typografie. Sehr spannend! Die andere Variante von Animation ist die Artivive-App. Dafür werden die Plakate mit Filmen hinterlegt. Die App erkennt das Motiv und spielt den Film ab. Interessant ist, dass dieser Film im Raum bleibt und sich mit dem Betrachter bewegt – das Plakat wird quasi zum Monitor. Das ist ziemlich effektvoll und eindrucksvoll und spricht vor allem die jungen Leute an. Unabhängig von der Frage, wie praxistauglich so etwas ist, eröffnet es eine neue Dimension für das Plakat. Und da dieser Bewegungsaspekt schon bei der Gestaltung beachtet und mitgedacht werden muss, sehen die Plakate auch anders aus. Wo das am Ende hinführt, weiß ich nicht, aber es ist schon interessant, auf diese Weise einen neuen Schritt zu machen. Welche Trends nehmen neben der Animation Einfluss auf die Zukunft von Plakat? GROHNERT: Das Future Lab ist mit den animierten Plakaten noch nicht zu Ende. Wir haben noch einen Raum, in dem eine hoffentlich zukünftige Wartehalle steht. Hier ist alles gebündelt, was an Entwicklung derzeit möglich ist. Es geht los mit einer begrünten Dachfläche und Solar-Modulen; dann ist ein Monitor drin, der praktisch keinen 20 OOH!–Fokus

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