OOH-Magazin Ausgabe 4 - 2023

wurde. Mit der Werbung für beispielsweise Datingplattformen oder Sexspielzeug wurden wir mit einer neuen Dimension in der Diskussion konfrontiert, die mich veranlasste, alle Akteur*innen an einen Tisch zu holen: Werbetreibende, kommunale Verwaltungseinheiten und Entscheidungsgremien, Fachverband. Ich war erstaunt, wie viele der Einladung folgten, wie wichtig das Thema allen Beteiligten war und wie dankbar diese interdisziplinäre Abstimmung angenommen wurde. OOH!: Mit welchem Ergebnis hat dieses erste interdisziplinäre Treffen geendet? MATSCHKE: Zusammenfassend stellten wir fest: Es besteht weniger eine Rechts- als eine Verhaltensunsicherheit, was als „unzumutbares“ Produkt definiert wird. Die Werbung für eine Datingplattform unter dem Motto „Mein Bett gehört mir“ wurde von einigen Bürgern empört als Aufforderung zum „Fremdgehen“ interpretiert und zurückgewiesen, von anderen in Zusammenhang mit gleichberechtigter sexueller Selbstbestimmung positiv gesehen. Wir verabredeten einen kontinuierlichen, dauerhaften interdisziplinären Diskurs. Der Fachverband wurde offiziell zu einer gemeinderätlichen Präsentation neuester Entwicklungen zum Thema aus Sicht der Branche eingeladen und ich konnte im Rahmen meiner städtischen Verantwortung die Vorgaben für Inhalte in der Aussenwerbung neu definieren bzw. erweitern. OOH!: Anfang Mai dieses Jahres hat der FAW den Beirat für Chancenvielfalt gegründet, den Sie seitdem als Beraterin unterstützen. Was reizt Sie an dieser Aufgabe? MATSCHKE: Nachdem ich zwischenzeitlich beruflich keine kommunale Verantwortung mehr trage, kann ich mich mit dem Thema grundsätzlicher beschäftigen. Welches Selbstverständnis kommt Werbung und Medien heutzutage zu? Wo sind ihre Verantwortlichkeiten, wo die Grenzen in Bezug auf Vielfalt? Welche Bedeutung kommen einer Selbstregulierung, gesellschaftspolitischen Regulierungen, politischen Vorgaben zu? Gibt es verbindliche „Eindeutigkeiten“ und wie gehen Werbung und Medien damit um? Dieser Diskurs und die Offenheit des Verbandes dafür reizen mich. OOH!: Der Beirat beschäftigt sich in erster Linie mit der „Analyse gesellschaftlich relevanter Aspekte in der öffentlichen Diskussion um diskriminierende Werbung im öffentlichen Raum“. Das klingt ziemlich akademisch – was bedeutet es für die Praxis? MATSCHKE: Die Komplexität des Aufgabenspektrums bzw. die Breite der Diskussion in einem Satz darzustellen, muss akademisch anmuten. Dahinter verbirgt sich die Auseinandersetzung um das Selbstverständnis von Werbung, angesichts der gesellschaftlichen und politischen Unübersichtlichkeit von Vielfalt, Diskriminierung und Diskriminierungsfreiheit diverser Zielgruppen. Was kann und will Werbung leisten, wo sind ihre Grenzen, wo die verantwortlichen Akteure*innen? Wir erleben eine gesellschaftliche und politische Diskussion um Wokeness, die sich, je nach Standpunkt, zwischen „Antirassismus“ und „Sittenpolizei“ bewegt. Werbung und Medien können im besten Fall innerhalb der Wirtschaftsfreiheit zu einer offenen, klugen, informativen Meinungsbildung beitragen. Ein wichtiger Faktor ist dabei die Frage der Wirtschaftlichkeit. Die werbetreibenden Unternehmen sind Auftragnehmer, bewegen sich in einer liberalen Marktwirtschaft, stehen im wirtschaftlichen Wettbewerb. Provokativ gesagt: Was bedeutet eine zunehmende politische Reglementierung von Produktwerbung in einer vielfältigen, selbstbestimmten Gesellschaft? Das 19. Jahrhundert bestimmte der Diskurs um „Kapital und Arbeit“, heute geht es um „Staat und Individuum“. Wieviel Staat, wieviel Freiheit sind zumutbar, mit welcher Bedeutung für Werbung und Medien. Womit beschäftigt sich der Beirat also? Wir werden entsprechende thematische Schwerpunkte setzen, die den werbetreibenden Unter- Ich unterstütze den Beirat für Chancenvielfalt, weil echte Chancenvielfalt in der Gesellschaft nur mit echtem Engagement erreicht werden kann. Deshalb setze ich mich dafür ein, mehr Sichtbarkeit für dieses Thema zu erreichen. Harriet Vahldieck, Regionalmanagerin bei der Wall GmbH und Mitglied des FAW-Beirats für Chancenvielfalt 25 OOH! – Trends & Innovationen Deutschland

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