Fleisch, das Fett, das Salz oder der Wein, vor denen es die Gesellschaft zu schützen gilt. Übergewicht gilt offiziell als „Volkskrankheit“, als Epidemie, die es selbstverständlich von staatlicher Stelle zu bekämpfen gilt. Gekämpft wird mit steuerfinanzierten Studien, die zuverlässig die vom Auftraggeber gewünschten Ergebnisse liefern, und mit denen man dann Programme und Regulierungen etwa zur Zuckerreduktion oder gar Werbeverbote legitimieren und ein schnell wachsendes Heer von gutbezahlten Experten mit der Umsetzung und Überwachung betrauen kann. Die Experten sind die Sittenwächter der Moderne. ImWohlfahrtsstaat ist der Umgang mit dem eigenen Körper keine Privatsache Zu diesem illustren Kreis moderner Moralapostel gehören selbstverständlich auch die Funktionäre von WHO und OECD. Sie beobachten, vermessen, empfehlen und erteilen Zensuren an die Bevölkerungen einzelner Länder. Mit ihrem demokratisch kaum legitimierten Aktionismus scheuen sie sich auch nicht davor, in die Souveränität der einzelnen Staaten einzugreifen. Und viele Staaten lassen sich das gefallen. Anders als früher geht es den politischen Eliten heute nicht nur um die Rettung von Sitte und Moral, sondern auch und vor allem um „das System“. Sich ein Bäuchlein anzueignen oder eine Zigarre zu schmauchen, ist im Zeitalter des vermeintlich solidarischen Wohlfahrts- und Umverteilungsstaats keine Privatsache mehr. ImWohlfahrtsstaat ist der Umgang mit dem eigenen Körper eine Staatsangelegenheit, die alle betrifft und deshalb der Aufsicht der Experten unterstellt werden muss. Der Körper ist quasi nur vom Staat geborgt. Diese Denkweise spiegelt sich exemplarisch in der Widerspruchslösung bei der Organspende. Mit Hingabe rechnen uns die zahlreichen involvierten Behörden, Organisationen und Institute vor, wie sehr die Dicken, die Raucher, die Weinliebhaber oder die Fleischesser den Staat, seine sozialen Institutionen und natürlich auch das Klima schädigen. Die zuliefernde Industrie, die all diese zwar legalen, aber „bösen“ Produkte zur Verfügung stellt, wird dabei zu einer Art Klassenfeind umgedeutet, der vom Staat an die Kandare genommen werden muss. Für staatliche Untätigkeit gebe es jetzt keine Entschuldigung mehr, schreibt die OECD und verspricht: „Davon wird auch die Wirtschaft profitieren.“ Wer vom gepflegten Behördenbüro heraus solche Ratschläge erteilt, offenbart ein zutiefst etatistisches Denken. Mit dieser „Anmaßung von Wissen“ imHayekschen Sinn ist man aber weder befugt noch qualifiziert, darüber zu urteilen, was für die Wirtschaft gut ist. Wer so denkt, hat vielmehr den Glauben an die Marktwirtschaft, an die Selbstregulierung der Märkte und vor allem an die Vernunft des Einzelnen längst aufgegeben, sofern dieser Glaube denn überhaupt jemals vorhanden war. Werbeverbote sind ein Fanal für die Entwicklung der Demokratie Das Beispiel zeigt, wie tief verankert die Staatsgläubigkeit mittlerweile ist, und zwar mitnichten nur im linken Lager. Das Motiv des Klassenkampfs zieht weite Kreise, nicht zuletzt in der akademischen Blase. Letztlich geht es dabei wie anno dazumal darum, Macht und Status der politischen und bürokratischen Eliten zu sichern und weiter auszubauen. Mit den Effekten des Umverteilungsstaats lässt sich so gut wie jeder staatliche Dirigismus legitimieren. Jede einzelne entsprechende Regulierung ist jedoch eine Absage an das vernünftige Individuum, für dessen Emanzipation unsere Vorfahren einst so hart gekämpft haben. Man mag Werbeverbote für eine Randnotiz halten; aber in ihrem Wesen sind sie antiaufklärerisch und bevormundend und in dieser Eigenschaft ein Fanal für die Entwicklung der Demokratie. Derlei Verbote und Regulierungen mögen den gesellschaftlichen Status der neuen Obrigkeiten stärken; für die Freiheit des Einzelnen hingegen sind sie eine – leider weitherum unterschätzte – Bedrohung. Claudia Wirz Wilhelm Amberg: Vorlesung aus Goethes „Werther“, 1870 23 OOH!–Aspekte
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