OOH-Magazin Ausgabe 1 - 2021
OOH!: Inwiefern unterscheiden sich die Innenstädte heute von ihren historischen Vorbildern – welche Aufgaben müssen sie für die Bevöl- kerung erfüllen? SPINNEN: Unsere heutigen Städte haben mehr gemein mit ihren historischen Vorbildern, als wir gemeinhin denken. Noch immer gibt es eine Mischung aus Handel, Repräsentation und Kommunikation. Allerdings wurden in den letzten Jahrzehnten Veränderungen an die- semMischungsverhältnis vorgenommen, die zu Lasten der Lebendig- keit gegangen sind. Nicht wenige Innenstädte sind vomHandel domi- niert, sodass sie sich nach Ladenschluss leeren. Der touristischen Attraktivität wird bisweilen das lebendige Stadtleben geopfert; viele Innenstädte werden von der einheimischen Bevölkerung sogar gemie- den. Eine Stadt aber sollte ihrer Bevölkerung ebenso wie ihren Gästen die Möglichkeit geben, sich heimisch und zugehörig zu fühlen. HORNY: Österreichische Städte unterscheiden sich von ihren histo- rischen Vorbildern kaum – im Gegensatz zu deutschen Städten sind sie im Krieg nicht ganz so stark zerstört worden und konnten ent- sprechend wieder aufgebaut werden. Der Wohnraum an sich muss aber heute neu gedacht werden. Das ist mit einigen Herausforderun- gen verbunden, denn die historischen Gebäude haben zum großen Teil keine Balkone und die Innenraumaufteilung entspricht nicht mehr den heutigen Anforderungen. Es braucht Lösungen für persön- liche Außenflächen sowie Ideen für sinnvolle Innenraumgestaltungen von Altbauwohnungen, die möglicherweise auch unter Denkmal- schutz stehen. Eine weitere große Herausforderung stellt, vor allem in Städten, der Klimawandel dar. Eine Umstrukturierung des Wohn- raums muss Begrünung und Kühlung von Straßen und Fassaden mit- denken. OOH!: Funktionierende Beziehungen leben von Gegenseitigkeit. Was leisten die Menschen für die Städte – geht es nur um Konsum? SPINNEN: Es geht nicht nur um Konsum, aber es wäre illusorisch zu glauben, es könnte erfolgreiche Stadtkonzepte unabhängig von deren ökonomischem Funktionieren geben. Da ändert sich gerade vieles, und das gilt auch für das Arbeits- und Freizeitverhalten der Menschen. Zeit wird an einer Stelle eingespart, um an einer anderen wieder aus- gegeben zu werden. Wenn das Einkaufen ins Netz verlagert wird, dann muss die alte Rolle der Stadt als Warenumschlagsplatz neu überdacht werden. Sie wird dann vielleicht zu einem Inspirationsraum, einem Bildungsort, einem Ort der Begegnung, nicht zu vergessen: einem Arbeitsort oder einem Raum der Gesundheitsfürsorge. Diejenigen Städte werden in Zukunft die interessantesten und erfolgreichsten sein, die ihrer Bevölkerung das Angebot machen sich für ihre Zukunftsgestaltung zu engagieren. HORNY: In der Stadt ermöglichen Opern, Theater, Musik, Kinos, Klubs, Literaturhäuser und die dazugehörige Baukultur Gemeinschaft, Austausch und Kommunikation. Für die Menschen sind dies wichtige Orte der Identifikation. Es ist deshalb von großer Bedeutung, dass diese Kulturräume erhalten bleiben. Wir merken in Zeiten der Pan- demie, dass die Kunst vernichtet wird. Man darf in die Kirche, Schi- rennen finden statt, aber man darf nicht ins Konzert. Warum? Weil Kunst den Finger in die Wunde legt und Kontroversen aufzeigt. Wir wollen der Stadt die Kunst zurückgeben, weil sie die Stadt mit Bedeu- tung auflädt. Es ist wichtig jetzt ein Zeichen zu setzen und zu zeigen, dass Menschen sich für die Kunst aktiv einsetzen. OOH!: Mit den wiederholten Corona-Lockdowns ist die „Krise der Innenstädte“ in den Brennpunkt gerückt. Worum geht es genau? SPINNEN: Die Pandemie hat einen bereits begonnenen Struktur- wandel sichtbar gemacht und enorm beschleunigt. Das setzt alle gewaltig unter Druck und wird in Teilen auch hektische Betriebsam- keit hervorrufen. Wir werden viele halbgare Prophetien und Schar- latanerien aushalten, vieles ausprobieren und wieder verwerfen müs- sen. Das gehört zum Strukturwandel dazu. Aber ich hoffe, wir sind alle zusammen lernfähig und haben auch ein bisschen Glück. Ich erfahre eine große Einmütigkeit auf allen Ebenen der Politik und der Verbände als ein hoffnungsvolles Zeichen für die Zukunft. Alle wissen: es geht um viel! Aber leider weiß heute niemand sicher, was das Ergeb- nis des Wandels sein wird. Wir werden ihn gemeinsam gestalten müs- sen. OOH!: Das Leben der Stadt scheint unmittelbar mit dem Handel verknüpft – ist die Krise der Städte allein auf die Krise des Handels zurückzuführen? HORNY: Die Stadt selbst ist nicht in der Krise: Es gibt hier ein viel- fältiges Kulturleben, Wohnen, Arbeiten, Freizeit, Kommunikation, Treffen. Der Handel, den es erst seit demVormärz in dieser Form gibt, muss nun aber Wege finden, sich gegen Online-Riesen durchzusetzen. Die großflächigen Handelsformen werden zurückgehen. Konsum- nahes Handwerk wie Schneiderei, Schusterei, Nähmaschinenrepara- turgeschäfte, Besenbinderei, Kunstschmiede, Schirmemacher, Juwe- liere und Glasmacher werden sich stärker durchsetzen. Da sind kleine Formate und Flächen gefragt. Zudem stehen die Chancen gut, dass der Klimawandel den PKW zurückdrängen wird. Somit nehmen Knotenpunkte des öffentlichen Ver- kehrs wieder einen hohen Stellenwert ein. Einkaufs- zentren am Stadtrand werden verschwinden, Versie- gelung wird rückgebaut. Innovative Lösungen sind also nun gefragt. OOH!: Welche Ideen gibt es von Seiten Stadtmarketing Austria, um sich von der Dominanz des Handels zu lösen? HORNY: Innenstädte waren noch nie vom Handel dominiert. Er ist nur optisch im Erdgeschoss sehr präsent. Um zeitgemäße Lösungen für Wohnen und Arbeiten in den Innenstädten zu finden, arbeiten wir gemeinsam mit Immobilienbesitzern und dem Denkmalschutz an innovativen Formaten. Angedachte Konzepte sind Co-Living für Studierende, Co-Housing im Hotel oder die Vergabe von leeren Man nennt das Stadtzentrum nicht zufällig das Herz der Stadt. 18 OOH!–Fokus
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