OOH-Magazin Ausgabe 1 - 2021

OOH!: Gibt es so etwas wie einen Instinkt der Menschen, einen gemeinsamen Mittelpunkt des Lebens zu definieren? SPINNEN: Ich würde es lieber Kultur als Instinkt nennen. Sprache und Kommunikation machen den Menschen erst zum Menschen. Unsere Kulturen sind Gemeinschaftsleistungen. Und dazu braucht es – auch nach der Erfindung des Smartphones und der Zoom-Kon- ferenz – zentrale Orte und öffentliche Räume, an denen Erfahrungen gesammelt, ausgetauscht und in Handlung überführt werden. HORNY: Der Mensch braucht identitäts- stiftende Momente. Eine Stadt bietet viele davon. Architektur, Kunst und Kultur einer Stadt prägen die Menschen, die hier leben und aufgewachsen sind, ungemein. Diese „Momente“ machen eine Stadt einzigartig und erfüllen sie mit Geschichten und Leben. Kultur ist ein Grundbedürfnis, ja sogar ein Menschenrecht – deshalb brau- chen Menschen Städte. OOH!: Was zeichnet den Kern einer Stadt im Wesentlichen aus? SPINNEN: Die europäische Stadt war und ist noch immer auf Kon- zentration und auf Repräsentation ausgerichtet. Je näher man der räumlichen Mitte kommt, desto näher kommt man den politischen, religiösen und den ökonomischen Mittelpunkten. Gäste und Stadt- fremde zieht es deshalb immer in die Stadtmitte, wenn sie sich ein Bild, eine Vorstellung der Stadt machen wollen, wenn sie verstehen wollen, wie die Stadt über sich selbst spricht. Das gilt übrigens glei- chermaßen für Stadtteile, auch sie funktionieren am besten, wenn sie eine erkennbare und lebendige Mitte haben. OOH!: Was macht Städte lebens- und liebenswert? HORNY: Für uns haben Städte einerseits die Funktion als wirtschaft- licher Ort, in dem Innovation großgeschrieben wird. Der Unterneh- mensstandort soll attraktiv sein. Eine Stadt ist andererseits ein kultu- reller Ort, in dem Festivals, Veranstaltungen, Kulinarik, Kunst, Kultur und Medien ihren Raum finden. Für die Gesellschaft ist es wichtig, dass das Bildungssystem und die Kinderbetreuungseinrichtungen gut strukturiert sind, dass es eine niedrige Kriminalitätsrate gibt und dass Toleranz und Gleichberechtigung gelebt werden. Stadtentwicklung, öffentlicher Raum und architektonische Vielfalt werden durch demo- kratisch-partizipative Maßnahmen gestaltet. Ziele hierbei sind zum Beispiel die Gestaltung von konsumfreien Zonen, Grünflächen und sinnvolle Verkehrswege. Zu guter Letzt sollen Städte die Funktion eines bewohnten Ortes erfüllen – öffentlicher Verkehr, ärztliche/medi- zinische Versorgung, internationaler Flugverkehr, Umweltbewusst- sein, Naherholungsgebiete und leistbares Wohnen müssen für eine menschenfreundliche Stadt mitgedacht werden. Kennzahlenermitt- lung und laufend angepasste Maßnahmen sind für eine Stadt imWan- del von großer Bedeutung. OOH!: Welche psychologische Bedeutung haben Stadtzentren für die Bevölkerung? SPINNEN: Gerade die flächendeckenden Zerstörungen des Krieges haben gezeigt, wie wichtig Straßenverläufe und Gebäude für die Iden- tifikation der Menschen mit ihrem Lebensort und dessen Geschichte sind. Wer den Lebensort von Menschen zerstören will, greift das Zen- trum an – das ist wie beim menschlichen Körper. Man nennt das Stadtzentrum nicht zufällig das Herz der Stadt. Bernadette Spinnen , Leiterin von Münster Marketing, hat vor wenigen Wochen ihre dritte Amtszeit als Vorstandsmitglied der Bundesvereinigung City- und Stadtmarketing Deutschland (BCSD) angetreten. Seit bereits 13 Jahren engagiert sie sich in dieser Eigenschaft in dem 1996 gegründeten Zusammenschluss von rund 400 Städten des gesamten Bundesgebiets, 2016 hat sie den Vorsitz übernommen. Die BCSD versteht sich als Inter- essenvertretung und organisiert mit ihren Tagungen eine Platt- form für den Meinungsaustausch und die Förderung des Stadt- marketings mit all seinen Facetten. In Münster hat Bernadette Spinnen zunächst 12 Jahre lang das Kulturamt der Stadt geleitet und wurde 2001 mit der Aufgabe betraut, ein zu Münster pas- sendes Stadtmarketing zu gründen- quasi ein Start-up nah an der Stadtverwaltung. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit steht als Ziel stets eine Stadt, die sich im permanenten Dialog mit ihren Bür- gerinnen und Bürgern weiterentwickelt. Foto: Foto Design Hermann Köhler Eine Stadt bietet viele identitätsstiftende Momente. 17 OOH!–Fokus

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