OOH-Magazin Ausgabe 4 - 2020

Im Sommer 2019 warb Google auf digitalen CLPs und anderen Screens in Hamburg und Berlin für sein wichtigstes Produkt: die Suche. Das Besondere an demAuftritt waren die unterschiedlichen Motive und die Tatsache, dass diese einen Bezug zur unmittelbaren Umgebung aufwiesen. Sie berücksichtigten Orte in der Nähe, Zug- verbindungen, die Wettervorhersage oder das aktuelle Kinopro- gramm. Bei heißem Wetter wurde beispielsweise gezeigt, wo das nächste Freibad war, bei Regen das nächste Kino. Über Marketing-Automationssysteme wurden jedes Mal unterschied- liche Daten herangezogen, analysiert und daraufhin Motive aus vor- gefertigten Bestandteilen zusammengesetzt, die dann auf den digita- len OOH-Flächen erschienen. Insgesamt 16 verschiedene Motive ließ die Agentur 72andSunny, Amsterdam, damals entstehen, was heute irgendwie niedlich klingt. 16 Motive, die auf den Screens gezeigt wer- den, wo es gerade am besten passt – das war für Kreative noch eine überschaubare Aufgabe. Inzwischen haben die digitalen Experimente ganz andere Dimensio- nen angenommen. Die vorläufige Benchmark setzte hier kürzlich der Süßgebäckhersteller Bahlsen. Für die Bewerbung einer neuen Sorte seiner Marke Pick up! (Kreativagentur: M&C Saatchi) investierte das Unternehmen Mitte des Jahres einen Großteil seines Werbeetats in Programmatic DOOH. Die Zusammensetzung der Motive war auch hier von verschiedenen Faktoren abhängig: von den Bewegungsdaten der Zielgruppen, demWochentag, der Uhrzeit, demWetter, regiona- len Aspekten und den Themen, die die Menschen gerade bewegten. Für jeden einzelnen Baustein wurden Motivschnipsel entwickelt, die dann in Sekundenbruchteilen individuell zusammengesetzt und aus- gespielt wurden. „Wir haben mit unserer Kampagne ein Millionen- publikum erreicht. Und das nicht mit den immer gleichen Motiven, sondern höchst individuell“, sagt Dimitri Herber, Media & Digital Marketing Lead bei Bahlsen DACH. „Insgesamt haben wir 2.900 unterschiedliche Motive mit über 8.000 Headlines ausgespielt – auf dem deutschen Markt gab es so etwas meines Wissens noch nicht.“ Mit der Zahl der Dynamic Ads wächst auch der Aufwand Tatsache ist aber auch, dass diese hoch dimensionierte Dynamic Crea- tion mit hunderten von Motiven eine extreme Herausforderung für alle Beteiligten darstellt. Für die Bahlsen-Kampagne wurden unter- schiedlichste Kreations-Teilchen entworfen, die beispielsweise Anga- ben zu Ort und Zeit („Guten Morgen Hannover“) oder zu Wetter und Tätigkeit („Bereit für den Office-Tag?“) beinhalteten. Die Software wurde so programmiert, dass sie sich bei der Ausspielung passend zum Umfeld bediente. Für das Team um Dimitri Herber bedeutete das: Es musste im Vorfeld alle möglichen Varianten durchspielen. Denn es ging nicht nur um die Frage, ob die dynamischen Kreationen technisch reibungslos funktionierten, sondern ob sie auch inhaltlich Sinn machten. „Der Aufwand war höher, als wir im Vorfeld einge- schätzt hatten“, räumt Dimitri Herber ein. „Neben dem Entwurf der Logik, nach der sich die Kreationen zusammensetzten, war vor allem die Testphase arbeitsintensiv. Denn wir mussten prüfen, ob alle Head- lines in den unterschiedlichen Formaten auch richtig dargestellt wur- den. Je mehr Variablen wir innerhalb der dynamischen Motivzusam- mensetzung berücksichtigt hatten, desto komplexer wurde es.“ Damit spricht Herber ein Grundproblem an. Denn wie bei jeder neuen Technologie ist auch bei Dynamic Creation die Versuchung groß sich zu verzetteln. „Programmatic DOOH verleitet dazu, sich in den technischen Mög- lichkeiten und den ganzen theoretisch nutzbaren Echtzeitdaten zu verlieren“, betont Dirk Hibbeler, Geschäftsführer von JvMNeckar. Mit der Gefahr, dass hinterher weder eine vernünftige Markenführung noch ein stringentes Storytelling erkennbar seien. „Die Kreation muss aber leicht erfassbar und sofort zu begreifen sein. Sie muss trotz unendlicher Möglichkeiten ein homogenes Ganzes ergeben.“ Eine komplexe Herausforderung, die andere Markenartikler derzeit noch scheuen. Sie sind zwar grundsätzlich daran interessiert, mit dynamisch zusammengefügter Kreation zu arbeiten, allerdings erst einmal mit einer überschaubaren Anzahl an Motiven. Dies zeigt die laufende Weihnachtskampagne von Otto. Für die Entwicklung der Kreation (Agentur: Freunde des Hauses) wurden First-Party-Daten herangezogen um zu erfahren, welche Produkte und Services vor Gesucht – gefunden: 16 verschiedene Motive wurden für Google Search mit direktem Bezug zum jeweiligen Umfeld ausgespielt. 18 OOH!–Fokus

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