OOH-Magazin Ausgabe 2 - 2019

Ich vergöttere (ja, richtig gelesen) den Wandel der Medienlandschaft nicht, weil es sich schickt oder es auf meine „Personal Brand“ einzahlt. Ich vergöttere den Wandel, weil ich ihn durch mein Alter komplett in seiner gesamten Band- breite erleben durfte und immer noch erlebe. Letzte Woche entfielen knapp 20 Stunden mei- ner Zeit auf Instagram, Facebook und You- Tube. 0 Sekunden auf Print, Radio, geschweige denn lineares TV. Werbetreibende, Media- Agenturen und Werbefilmproduzenten: Alle müssen umdenken, um mich in der richtigen Situation mit der richtigen Botschaft davon zu überzeugen, mein Geld für ihre Produkte aus- zugeben. Und ich glaube, es wird ihnen mittel- fristig nicht mehr gelingen, wenn sie weiter auf den zuletzt genannten Kanälen unterwegs sind. Warum? Niemals zuvor in der Geschichte der Mensch- heit gab es ein größeres Unterhaltungs- und Informationsprogramm in dieser Verfügbar- keit. Jede Minute werden 300 Stunden Video- material auf YouTube hochgeladen. Es gibt mehr Content da draußen, als ich in meinem Leben jemals schauen kann. Dazu kommt ein Algorithmus, der mich besser kennt, als jeder Programmchef in jedem medienproduzieren- den Unternehmen – außer Netflix. Wahr- scheinlich kennt der YouTube-Algorithmus mich sogar besser, als ich mich selbst kenne. Dazu kommen die Investitionen der neuen digitalen Distributionsgiganten in Content. Ob es Spotify ist, die demRadio Böhmermann und Schulz wegkaufen, oder Investitionen von mehr als 8 Mrd. Euro von Netflix, 5 Mrd. von Amazon oder 85 Mrd. von AT&T. Zum Ver- gleich: Bertelsmann investiert 6 Mrd. Euro, gestreut auf Bücher, Zeitschriften, Bewegtbild- inhalte, Musik und Journalismus, und nur 1 Mrd. mehr als Amazon, die mit Prime Video noch nicht mal richtig angefangen haben. Und sollte man schon Petabytes an Inhalten und IPs besitzen, baut man wiederum den passenden Distributionskanal, wie Disney es mit seinem Streaming Service „Disney+“ tut. Es geht bei Investitionen in dieser Größenord- nung nicht darum die Leute dazu zu bewegen, heute abend mal Amazon Prime Video zu schauen oder Spotify statt Radio im Auto zu hören. Es geht um etwas Anderes: das nächste knappe Gut. Es geht um unsere Aufmerksam- keit und die Daten, die Rückschlüsse darüber geben, wo diese Aufmerksamkeit liegt. Die Königsdisziplin ist gleichzeitig noch Real- Time-MaFo zu betreiben, wie Netflix in „Ban- dersnatch“: ein interaktiver Multiple-Choice-Film, in dem ich gleich zu Anfang entscheiden darf, welche Cornflakes ich zum Frühstück möchte – sponsored by Kelloggs, die schon in Netflix’ Erfolgsserie „Stranger Things“ sehr erfolgreich integriert wurden (Sales Uplift von 14 Prozent für Kelloggs Eggos). Die erste Staf- fel kam übrigens auf knapp 80 Mio. Streams (Stand 2017). Ohne Werbeunterbrechungen, bei voller Aufmerksamkeit, nahtlos ins Enter- tainment integriert, auf den letzten Kontakt genau gemessen, akzeptiert. Meine Liste der Integrationen von Marken in High-Quality-Content ist noch sehr viel länger und wird auch in Zukunft länger werden. Gekrönt wird sie von Marken wie Shell oder BAPE, die noch weitergehen und in Videospielen wie „League Of Legends“ oder „Playerunknown’s Battleg- rounds“ auftreten. „League Of Legends“ spielen annährend 100 Mio. Menschen. Da sprechen wir also von Superbowl-Reichweiten. Diese Zahlen bringen mich zu folgenden Schlussfolgerungen: 1. Es gibt keine Unterscheidung mehr zwischen Fernsehen, Streaming oder Videospielen. Es gibt häusliche Unterhaltungsprodukte bzw. Bildschirmzeit, bei der alle um die Aufmerk- samkeit des Konsumenten konkurrieren. 2.Unterhaltungsprodukte gab es schon vorher. Neu ist die Zahlungsbereitschaft um von Werbung verschont zu bleiben, die die Immersion in die Unterhaltung und damit die Aufmerksamkeit bricht. 3. Integrationen von Marken und Produkten in Video Spielen oder High-Quality-Streaming-Produktionen sind exklusiv und werden daher nur denWerbegiganten mit sehr tiefen Taschen offenstehen. 4.Der Medienkonsumwird weiter diversifiziert und damit relevant fragmentiert, so dass Werbetreibenden kein Massenmedium wie das Fernsehen bleibt. 5. Out of Home wird der wichtigste lineare ATL-Kanal. Werbetreibende werden sich in den nächsten Jahren mit dem Problem konfrontiert sehen, dass die Distributionsgiganten nicht mehr auf Werbebudgets angewiesen sind, da die Nutzer das Programm selbst finanzieren umwerbefrei konsumieren zu können. Diese Nutzer sind die relevanten Zielgruppen mit hoher Kaufkraft. Mediale Aufmerksamkeit ist das neue knappe Gut Julian Mohr (28) ist Geschäftsführer der Agentur Nqyer Media, Hamburg. 14 OOH!–Aspekte

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