OOH-Magazin Ausgabe 4 - 2017

Matthias Horx, Gründer und Gesellschafter des Zukunftsinstituts, erklärt: „Früher wurden die Menschen in eine Gemeinschaft geboren und mussten ihre Individualität suchen. Heute hat sich die Suchrich- tung umgekehrt: In einer zunehmend individualisierten Gesellschaft suchen wir alle nach dem Wir, der Identität, der Zugehörigkeit.“ Die neue Suchrichtung wurde bei den Bundestagswahlen in Deutsch- land und den Nationalratswahlen in Österreich in diesem Jahr bereits eifrig bedient. Auffallend häufig haben Parteien hier das verbindliche „Wir“ genutzt, um die Distanz zwischen Bevölkerung und Politik auf- zuheben und durch die Idee eines gemeinsamen großen Projekts zu ersetzen. Allen voran die FDP: „Denken wir neu“ hieß die anspruchs- volle, umfassende Klammer für die Kommunikation, einzelne Motive verstärkten die Einladung zur Teilhabe an einer kollektiven Initiative, zum Beispiel „Warten wir nicht länger“; in Frankfurt warb FDP-Ge- neralsekretärin Nicola Beer: „Werden wir das Land, das in uns steckt“. Die CDU mit Angela Merkel empfahl sich im Wahlkampf mit dem zentralen Claim „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“, weitere Sujets verwiesen erneut auf „unser Land“ und Institu- tionen, „die für uns stark sind“. „Gemeinsam kommen wir weiter“ hieß es auf Wahlplakaten des zuletzt amtierenden österreichischen Bundeskanzlers und SPÖ-Spitzenkandidaten Christian Kern, der damit ebenfalls explizit an den Gemeinsinn appellierte. Aus dem von allen geschaffenen Nutzen erwächst der Nutzen jedes Einzelnen. Es dürfte einer der meistzitierten Sätze der vergangenen Jahre sein: „Wir schaffen das.“ Seit Angela Merkel die Deutschen 2015 mit diesem kurzen Appell zu einer positiven Haltung gegenüber der so genannten Flüchtlingskrise ermutigen wollte, wird über den Inhalt der Aussage gestritten. Psychologisch hat die Bundeskanzlerin damit in der Bevöl- kerung auf jeden Fall einen Nerv getroffen: Dem Wort „Wir“ wohnt eine besondere Kraft inne, der man sich nicht entziehen kann, weder im Konsens noch im Protest – „Wir sind das Volk.“ In einer jungen Partnerschaft zum ersten Mal ausgesprochen, signa- lisiert „Wir“ das Versprechen einer gemeinsamen, schöneren Zukunft. In der Familie, der Nachbarschaft, im Freundes- oder Kollegenkreis, in einemDorf oder einem ganzen Land: „Wir“ verheißt Nähe, Schutz, Gemeinschaft, inneren Einklang, ein kollektives Verständnis, den Inbegriff sozialen Lebens. Das zählt mehr denn je: „Wir“ ist Zeitgeist. Individualisierte Gesellschaft auf der Suche nach Zugehörigkeit Ein Befund, der zunächst überrascht. Schließlich weisen die Begleit­ erscheinungen der Digitalisierung in eine andere Richtung, Indivi- dualisierung scheint das Gebot der Stunde. Vor kurzem ist mit der turi2 edition 5 die Ausgabe „The Digital Me“ erschienen, die sich ein- gehend mit einer Welt befasst, „die das Ego ins Zentrum rückt“. Doch gerade deshalb finde nun der „Aufbruch in die Wir-Gesellschaft statt“, sagt einer der international renommiertesten Trendforscher. 16 OOH!–Fokus WARTEN . WIR . NICHT . LÄNGER. . CHRISTIAN LINDNER . Wartenicht,bisdugefragtwirst. WartenichtaufdieKanzlerin. WartenichtaufErlaubnis. WartenichtaufdasArbeitsamt. Wartenicht,bisduangerufenwirst. WartenichtaufdenTod. Wartenicht,bisdudeinStudiumabgeschlossenhast. Wartenichtaufdeine Inklusion. WartenichtaufBrexitoderNicht-Brexit. WartenichtaufdenneuenSPD-Kandidaten. WartenichtaufdiegutealteZeit. WartenichtaufdenMessias. Wartenicht,bisduaufgerufenwirst. Wartenicht,bisdudranbist. Denkenwirneu. ZWEIT- STIMME @ FDP V.i.S.d.P.:FreieDemokratischePartei,Reinhardtstraße14,10117Berlin

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