20 OOH!–Kreation & Kreativität Deutschland Bei Einreichungen unterscheidet Richard Jung zwischen Tagesgeschäft und Prototypen. Dass Awards gut für die Kreativität und das Neugeschäft der Agenturen ist, davon ist der ADC Juror und Professor für Kommunikationsdesign und Corporate Identity überzeugt. OOH!: Viele bezeichnen Award-Shows als Nabelschau der Agenturen. Fördern sie dennoch die Kreativität insgesamt? JUNG: Ja! Die Messlatten werden definiert. Es wird gezeigt, wo der Hammer aktuell hängt. Idealer Weise wird der, wie bei sportlichen Meisterschaften auch, Jahr für Jahr höher gehängt. Wichtig dabei ist, wer die Einreichungen bewertet. Im Gegensatz zu renommierten Profis orientiert sich das Publikum an dem, was es kennt, amMainstream, und der ist das Gegenteil von kreativen Ideen bzw. überraschenden, überzeugenden Problemlösungen. Das gilt übrigens auch für so manchen Auftraggeber. Neue Maßstäbe werden so nicht gesetzt, die Messlatte bleibt niedrig. OOH!: Oft hört man den Vorwurf, dass Award-Einreichungen nur für die Wettbewerbe gemacht werden. Aus Ihrer Erfahrung als Jurymitglied und ehemaliger Agentur-Chef – Ist der Vorwurf gerechtfertigt? JUNG: Jain. Es gibt zwei Lager in der Kreativwirtschaft, zum einen die „Tagesgeschäft-Fraktion“, die Arbeiten, welche Agenturen neben den herkömmlichen Aufträgen auf eigene Rechnung produzieren, kategorisch ablehnt. Und zum anderen die „Prototypen-Fraktion“, die den Standpunkt vertritt: „Herausragende kreative und damit meist innovative Arbeiten können nicht im Tagesgeschäft entstehen!“. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. ADC Jurymitglieder sind aufgrund der jahrelangen Diskussion jedenfalls sensibilisiert für das Thema. Die 14köpfigen Jurys bewerten und diskutieren sehr kritisch. Ein Blick auf die Auszeichnungen der vergangenen Jahre beweist, dass den Juroren eine ausgewogene Mischung gelungen ist. OOH!: Das ADC Kreativranking berücksichtigt nur fünf Wettbewerbe; im Gegensatz dazu berücksichtigen Rankings wie der Gunn Report oder Big Won zahllose Wettbewerbe. Sind diese damit nicht repräsentativer? JUNG: Kaum eine andere Branche hat eine vergleichbare Anzahl an angesehenen Wettbewerben. Vielleicht liegt es daran, dass die Schöpfer kommerzieller kreativer Arbeit meist imHintergrund agieren und die Anerkennung fehlt? Ein weiterer Treiber sind die Kreativ-Geld schießt Tore Rankings, denen sich keine Agentur, die sich über ihre kreative Leistung auf demMarkt positioniert, entziehen kann. Wie auch immer – Tatsache ist: Kreative Awardshows boomen seit Jahren und sind für die meisten Veranstalter ein gutes Geschäft mit stattlichen Umsätzen. Für die meisten Agenturen, Verlage oder Designbüros jedoch ist die alljährliche Kreativ-Wettbewerbstournee nicht mehr zu bezahlen. Die Folge: Je mehr Geld zur Verfügung steht, desto mehr Einreichungen, desto mehr Auszeichnungen, desto mehr Punkte, desto kreativer – Geld schießt Tore. Die Initiative bzw. das Ranking des ADC hat das Ziel diesem finanziellen und organisatorischen Wahnsinn ein Ende zu bereiten. OOH!: Wie stark fließen solche Rankings Ihrer Erfahrung nach ein, wenn Unternehmen neue Agenturen auswählen? JUNG: Auch hier gibt es zwei Lager: Die eine lehnen Rankings kategorisch ab, die anderen orientieren sich daran. Tatsache ist: Rankings haben in unserer komplexer und damit unübersichtlicher gewordenen Welt Orientierungsfunktion und bekommen damit zunehmende Bedeutung. Und Tatsache ist auch: Kreativität ist essenziell, wenn es um die wichtigste Ressource der Mediengesellschaft geht: Aufmerksamkeit. OOH!: Und wie wirkt sich ein Award-Gewinn Ihrer Erfahrung nach für Agenturen aus, wenn es um die Akquise neuer Kunden geht? JUNG: Wer einen renommierten Award gewinnt, hat nachweislich und von Experten testiert herausragende Arbeit geleistet und differenziert sich im Wettbewerb von denen, die keine gewinnen, oder von denen, die – aus welchen Gründen auch immer – nicht mitmachen wollen. Im Prinzip ist der Award-Gewinn nichts anderes als eine Zertifizierung, die Unternehmen anderer Branchen oft und gerne als Akquise-Argument nutzen. Kreativ-Awards gehen sogar noch einen Schritt weiter, denn imUnterschied zu den gängigen ISO-, DIN-, TÜV-, etc. Zertifizierungen wird nicht nur der Standard, also das allgemeine Qualitätsniveau bescheinigt, sondern herausragende Qualität. Interview: Vera Günther »Kreativität ist essenziell, wenn es um die wichtigste Ressource der Mediengesellschaft geht: Aufmerksamkeit.« Richard Jung, Professor für Kommunikationsdesign und Corporate Identity, Hochschule Niederrhein
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