OOH-Magazin Ausgabe 3 - 2023

wurde, die Ablenkung aber jeweils nur kurzfristig erfolgte und der Blick immer wieder auf die Straße zurückkehrte. Fakt ist demnach: Kunst am Straßenrand hat eine positive Wirkung auf die Autofahrenden. Sie senkt das innerörtliche Geschwindigkeitsniveau spürbar. In der Gemeinde Ottersberg hat sich die Zahl der Geschwindigkeitsüberschreitungen nach dem Aufstellen der Kunstobjekte an verschiedenen Messpunkten auf innerörtlichen Durchgangsstraßen um bis zu 24 Prozent verringert. Die Geschwindigkeitsreduktion konnten die Forschenden allerdings nicht unmittelbar nach dem Vorbeifahren an den ersten Installationen feststellen. Erst in der Ortsmitte wurden die meisten Autos langsamer. Prof. Dr. Rainer Höger, Projektkoordinator von der Leuphana Universität, glaubt: „Kunstobjekte noch vor den Ortseingangsschildern können Autofahrende zeitlich früher zum Abbremsen bewegen. Dadurch würden sie bereits beim Einfahren in den Ort langsamer fahren. Allerdings dürfen nach Verkehrsrecht außerhalb einer Ortschaft keine Objekte vor Ortseinfahrten stehen“. Projektkoordinator Höger ist auch mit der Aussenwerbung vertraut, als enger Kooperationspartner der Kölner Out of Home-Agentur planus media und ihres Marktforschungsinstituts Scopience. Gemeinsam haben sie beispielsweise den branchenbekannten VISATT-Test entwickelt, der die Wirkung von OOH-Motiven im realen Umfeld misst. Eine Verbindung vom Projekt „FairVerkehr“ zu Out of Home zu ziehen, lag nahe. Denn Aussenwerbung in Form von analogen Werbeflächen oder digitalen Screens zieht die Blicke von Autofahrern ebenfalls auf sich. Oliver Schleyer, Leiter von Scopience, ist überzeugt, dass sich die Erkenntnisse des Kunstprojekts auf die Aussenwerbung übertragen lassen: „Wie die Kunstinstallationen in diesem Versuch können auch OOH-Werbeträger unmittelbar Einfluss auf das Verhalten der Betrachter nehmen. Wichtig ist eine kreative und überraschende Gestaltung der Motive. So zieht die Kampagne nicht nur die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich, sondern bleibt auch nachhaltig im Gedächtnis.“ Der vorstehende Beitrag beruht auf dem Kurzbericht zum Projekt „FairVerkehr“ der Leuphana Universität Lüneburg, der Hochschule der Künste im Sozialen Ottersberg und der Technischen Universität Hamburg Kunststudierenden verschiedene im Straßenraum installierbare Objekte, von denen schließlich eine Auswahl angefertigt und für mehrere Monate an den Ortseingängen aufgestellt wurde. Atmosphärische Aufladung des Straßenraums In der Projektumsetzung wurde das Prinzip einer seriellen Reihung von Kunstwerken entlang des Straßenverlaufs gewählt. Anstatt dass einzelne, spektakuläre Werke die Blicke – mit im Laufe der Zeit voraussichtlich nachlassender Wirkung – auf sich ziehen, sorgten verteilte Werksgruppen für eine atmosphärische Aufladung des öffentlichen Raums. So wurden in Ottersberg unter anderem Textschilder in einem bestimmten Abstand installiert, die sich aufeinander bezogen und gemeinsam einen Wortsinn mit Orts- und Situationsbezug ergaben. Als weitere Maßnahme wurde eine Bushaltestelle, die vorwiegend von Studierenden der Hochschule und Schülern aus Ottersberg genutzt wird, mit bunten Folien verkleidet, bunte Sitze und Farbstreifen auf dem Gehweg komplettierten die neue Anmutung. In Amelingenhausen konnten die Bewohner bewusst mit einer Kunstinstallation interagieren: Drei in den Primärfarben Cyan, Magenta und Gelb gehaltene Acrylglasscheiben wurden in einen Stahlrahmen montiert und ließen sich auf Wunsch verschieben. Dadurch entstanden farbige Reflexionen auf der Straße, die je nach Sonneneinstrahlung neue individuelle Abbildungen erzeugten. In beiden Orten sollten außerdem unterschiedlich gestaltete AirbagSkulpturen an Bäumen Aufmerksamkeit bei den Autofahrern erregen und unterschwellig dafür sorgen, dass sie sich nicht zu sicher fühlten. Der Gedanke dahinter galt der Aufrüstung heutiger Fahrzeuge durch etliche Airbags rund um die Insassen, die Fahrer und Mitfahrer im Glauben absoluter Sicherheit lassen und so zu schnellerem Fahren verleiten können. Kunstobjekte senken Geschwindigkeitsniveau Um den Effekt der Kunstobjekte auf das Geschwindigkeitsniveau zu überprüfen, setzten die Forschenden Radargeräte und Verkehrskameras ein. Die Geschwindigkeit der Fahrzeuge wurde vor und nach der Installation der Kunstobjekte gemessen und anschließend verglichen. Mit Hilfe von Eye-Tracking analysierten die Wissenschaftler zudem, in welchem Ausmaß die Kunstobjekte die Aufmerksamkeit von Autofahrern auf sich zogen und ob sie für die Menschen am Steuer durch eine zu große Ablenkung gefährlich werden könnten. Es stellte sich schließlich heraus, dass den Kunstobjekten Beachtung geschenkt „Don’t be afraid“ von Carolin Stöckel: Kunst zum Anfassen und Mitmachen, durch drei Acrylglasscheiben in einem Stahlrahmen, die verschoben werden können. Durch Sonneneinwirkung entstehen dazu Reflexionen auf der Straße. © Michael Dörner „Bunte Straße“ von Jingrui Zhang: Farbe und Formen verwandeln die sterile Ortsdurchfahrt in eine künstlerische Umgebung, deren Atmosphäre die Autofahrer aufnehmen. © Kira Keune 33 OOH! – Strategie & Planung Deutschland

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